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Kommentar SPD-Konzept zum SozialstaatPartei der Arbeit

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD kümmert sich um die untere Mittelschicht. Ihr neues Sozialstaatskonzept bekräftigt aber auch: Sie ist nicht die Partei der Arbeitslosen.

Der Vorwurf, dass die SPD nur selbstbezügliche Vergangenheitsbewältigung betreibt, ist ungerecht Foto: Sebastian Gollnow/dpa

D ie SPD ist bei Wahlen auf die Größe eines Motorboots geschrumpft. Doch bei Kurskorrekturen bewegt sie sich noch immer so langsam wie ein Tanker. Das volltönend „Sozialstaat 2025“ betitelte Konzept, das die Agenda 2010 endgültig übermalen soll, ist eine solche Kurskorrektur. Es hat lange gebraucht. Aber dafür ist es auch kein Schnellschuss geworden.

Im Fokus stehen Beschäftigte mit niedrigen Einkommen. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro steigen, allerdings „perspektivisch“, was eher nach Vertagen klingt. Wichtig ist, dass die SPD über das übliche Händeringen hinaus endlich etwas tun will, um mehr Tarifverträge zu ermöglichen und Arbeitgebern das Einspruchsrecht zu nehmen.

Zudem soll, wer 35 Jahre gearbeitet hat, etwas mehr Rente bekommen. Ein vertrauensbildendes Signal ist, dass Ältere länger normales Arbeitslosengeld beziehen sollen – gerade mit Blick auf die künftigen Verlierer der digitalen Umwälzungsschübe.

Der Vorwurf, dass die SPD nur selbstbezügliche Vergangenheitsbewältigung betreibt, ist naheliegend, aber ungerecht. Dieses Konzept hat eine klare Kontur: Die SPD will Partei der Arbeit sein und kümmert sich um die untere Mittelschicht. Das ist angesichts der Kluft zwischen Arm und Reich überfällig. Partei der Arbeit heißt aber auch: Nicht Partei der Arbeitslosen. Hartz IV wird zum Bürgergeld aufgehübscht, ohne dass sich wirklich viel ändert.

Gabriel wäre der Falsche

Das öffentliche Echo auf die SPD-Ideen ist gemischt. Das dürfte sich ändern, wenn die Partei erklärt, wie sie das Ganze finanzieren will. Wenn sie ernsthaft die Vermögenden steuerlich belastet, wird ihr ein weit schärferer Wind ins Gesicht wehen. Dann wird sich zeigen, ob die SPD sich mit den Eliten anlegen kann.

Falls sie glaubt, dass dieses Konzept sie bei Wahlen retten wird, steht ihr eine Enttäuschung bevor. Verspielte Glaubwürdigkeit wiederherzustellen dauert in der Politik nicht Monate, sondern Jahre unbeirrbaren Kurshaltens. Sigmar Gabriel, über dessen Rückkehr spekuliert wird und der bekannt ist für waghalsige Wendemanöver, wäre dafür der Falsche.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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12 Kommentare

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  • Die SPD ist nur nicht die Partei der Arbeitslosen, sie ist auch nicht die Partei der Zukunft. Ihre Vorstellung von Arbeit ist in den Siebzigern stehengeblieben. Sie träumt von Tarifbeschäftigten (sehr gern in der Industrie) und Gewerkschaftsengagierten. Die Wirklichkeit sieht längst anders aus: Prekär Beschäftigte, Pseudo-Subunternehmer und prekär verdienende Zwangsfreiberufler, die beim Gedanken an einen Mindestlohn nur laut lachen können. Die SPD verkennt auch den Wertewandel: Immer mehr Menschen definieren ihren Wert nicht mehr nur über Lohnarbeit und möchten in einer Arbeit auch einen gewissen Sinn finden, da sie wissen, dass dies für die persönliche Zufriedenheit unabdingbar ist. Auch was die uns bevorstehende Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen angeht, fehlen schlicht die Antworten. Und die wird nicht nur einfache Tätigkeiten für Ungelernte betreffen, sondern auch Jobs, die vor zehn Jahren noch als unersetzbar galten. Es ist natürlich positiv, dass die SPD sich darum bemüht, an ihrer Unterscheidbarkeit vom linken bis mittleren CDU-Flügel zu arbeiten, aber eine Partei, die in Zukunft beim Wähler etwas reißen will, muss Zukunft auch denken können. Und das ist mit der SPD, ob in der alten oder neuen Form, einfach nicht zu machen.



    Ich bin schon gespannt auf den Entwurf zur Umweltpolitik. Da wird man zwar die Umwelt schützen wollen (denn das wollen außer der AfD irgendwie alle), aber es wird wieder das Mantra der Arbeitsplätze gesungen werden, der Kohlekumpels, an die man auch irgendwie denken muss und deren sozialverträgliche Überführung in andere Branchen man seit 25 Jahren verschnarcht hat. Wetten?

  • 35 Jahre gearbeitet ,der bekommt "etwas "mehr Rente.

  • Das neue Konzept ist wenig zukunftsweisend, weil es den Niedriglohnsektor aufrecht hält (die 12 EUR sind bald weginflationiert) und Arbeitslosigkeit weiterhin als Motivationsproblem definiert. Es gibt Befürchtungen, dass mit der neuen Wirtschaftsentwicklung 40% der Arbeitnehmer arbeitslos werden. Die Zukunft muss also anders gestaltet werden. Auch fehlt eine ökosoziale Positionierung. Alles ist wohl nur eine Konzession an die Basis.

  • Ein perspektivischer Mindestlohn von 12€ ist bis 2025 greifbar, denn bis dahin sind 12€ nur noch so viel wert wie heute 10€, wenn man von 3% Inflation ausgeht. Wenn die Umsetzung dann nochmal fünf Jahre dauert ist der „Erfolg“ garantiert.

    Aber es ist einfach Witze zu machen, im Grunde finde ich den Kurswechsel gut. Wenn die SPD jetzt nicht nur die richtigen Dinge tut, sondern auch die richtigen Dinge unterlässt (Identitätspolitik / Intersektionalität / … ) dann kann aus ihr vielleicht doch wieder eine bedeutende Partei werden, die für die Masse wählbar ist.

  • SPD kümmert sich v.a. darum dass "die untere Mittelschicht" auch dementsprechend entlohnt wird. Alles was die SPD tut dient der Rettung des Niedriglohnbereichs.

  • "Wenn sie ernsthaft die Vermögenden steuerlich belastet, wird ihr ein weit schärferer Wind ins Gesicht wehen."



    Sprich sie würde endlich mal wieder Politik die ihre Wähler*innen und nicht für die paar Industriebosse machen. Dat glob ick erst wenn's passiert is!

  • Es ist ein Tollhaus SPD, unter Ausblenden der SPD Basis Strukturen, darf sich die Öffentlichkeit einen ins Kabinett eingebundenen Arbeitsminister Hubterus Heil als Heilsbringer visualisieren, der per Federstrich "Steuerfinanzierter Grundrente" den Koalitionsvertrag 2017 zu Altpapier macht, sich dem Luftigen Zukünftigen zuzuwendet. dass sich nicht wenige fragen, besser den Spatzen Koalitionsvertrag, Punkt ür Punkt abgearbeitet in der Hand, als die Taube als flüchtigen Heuler auf dem Dach.

    Stefan Reinecke hat schon recht, es wird vieles durch den aktuellen SPD Aufschlag, übertüncht, damit es unbemerkt beim Alten bleibt, die Dreistigkeit sich nicht sogleich erschließt. mit der Heil die Agenda2010/Hartz4 Gesetze Arbeitsmarktreform 2003 als Ausstieg zu entschädigungslosen weiteren Gunsten privater, kirchlicher, staatlicher Arbeitgeber komplettiert. von der Arbeitskultur Abschied zu nehmen, Partnerschaft Arbeitnehmer- , Arbeitgeberschaft als Motor für Innovation, berufliche Ausbildung, Arbeitsplatzerhalt, Integration, Gleichheit der Entlohnung gleicher Arbeit, Teilhabe, betriebliche Mitbestimmung, Kündigungssschutz zur Disposition zu stellen, dass sich selbst Arbeitgberververbände ungläubig die Augen reiben, ohne diesen Vorgang historisch einzuordnene, ja nicht einmal als solchen zu benennen, sondern auch noch von Respekt gegenüber Lebensleistung bei Rentenantritt nach mindestens 35 Jahren Einzahlung in die gesetliche Sozialversicherung zu schwadronieren? Geht`s noch? Bald heißt es noch mehr bei Arbeitsantritt, Restvermögen vor Schonvermögen für Altersvorsorge mitzubringen, wenn das verbraucht ist, steuerkich finanzierte Berechtigungsscheine als Hartz4 Aufstocker für sachgrundlose Arbeitgeber Lohnsubvention mit Aussicht auf eigene Altersarmmut zu präsentieren. In einer global asymmetrichen Weltwirtschaft macht das bösen Sinn, weil nur die Ländern mit gesichertem Steueraufkommen sich diese Arbeitgeber Lohnsubvention als unlauterer Standortvorteil leisten können

    • @Joachim Petrick:

      Respekt kann es nacheilend,wenn überhaupt.nur durch entsprechend geldwerte Leistungsanerkennung durch die Arbeitgeber für Arbeitnehmer nixcht durch den Staat geben-

  • Mir ist noch nicht ganz klar, wie die SPD sich mit diesem Konzept wirkungsvoll für die untere Mittelschicht (die mit Job) einsetzen will. Das einzige wäre der etwas höhere Mindestlohn. Das andere, länger ALG2 für Ältere und bessere Mindestrente, richtet sich offenbar eher an Leute, die eh kurz vor der Pensionierung stehen?

    Was ist mit all den Zeitverträgen, Gender Pay Gap, Familie und Kinder unter einen Hut usw.? Also die Themen für Jüngere? Das "Recht auf Homeoffice" überzeugt mich nicht. Das kann nämlich auch heißen, daß man für winziges Geld Werbetexte fürs Internet schreibt und in die Künstlersozialkasse gedrängt wird o.ä. Und als Frau eben immer noch zu Hause bleibt... Daß Arbeitgeber es hinnehmen, wenn voll bezahlte Vollzeitjobs von zu Hause aus gemacht werden, und die Home-Arbeiter nicht irgendwie schlechter bezahlen usw., das sehe ich irgendwie nicht, dazu ist die Arbeitgeberseite viel zu kontrollsüchtig und unflexibel. Das guck ich mir ja an.

    Es wäre besser, wenn die Firma sich um Kinderbetreuung kümmert und Mütter/Väter mehr unterstützt (notfalls per Gesetz), als wenn man die weiterhin nach Hause schickt und ihnen lediglich einen PC dazustellt... das sieht nicht nach Wertschätzung von Müttern aus.







    Hartz 4- Empfänger brauchen auch in Zukunft gar nicht zur Wahl kommen, das ist klar (es sei denn die Linke reißt sich endlich zusammen oder die Grünen werden sozial glaubwürdig).

    Ich beginne zu denken, daß Hartz 4 schlichtweg Ausdruck der Mentalität der Mehrheit ist, und daß es deswegen so schwer ist, das wieder loszuwerden. Die SPD hat die häßliche Büchse der Pandora aufgemacht und kriegt sie nicht wieder zu. Offenbar braucht die Bevölkerung die wohlige Gewißheit, daß "die faulen Arbeitslosen bestraft werden". Irgendeinen Gulag muß es wohl immer geben, damit der Michel ruhig schlafen kann. Denk ich an Deutschland in der Nacht, wird mir speiübel.

    • @kditd:

      "Ich beginne zu denken, daß Hartz 4 schlichtweg Ausdruck der Mentalität der Mehrheit ist, und daß es deswegen so schwer ist, das wieder loszuwerden. Die SPD hat die häßliche Büchse der Pandora aufgemacht und kriegt sie nicht wieder zu."

      Das ist 100%ig richtig.

      1834 wurde im viktorianische England die bisherige Praxis der Armenhilfe abgeschafft und zwangsweise Kasernisierung in sog. Arbeitshäuser eingeführt. Die schrecklichsten Bilder von Dickens&Co lassen grüßen. Erst 1948 wurde diese Institution abgeschafft.



      Könnte sein, dass Hartz-System eine genauso eindrucksvolle Langlebigkeit innehat.

  • Jedenfalls ist die SPD nicht die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Geringverdiener, auch wenn sie jahrzehntelang geschuftet haben, fallen nach wie vor ab dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit ins Hartz-4-System, weil ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 nicht zum Leben ausreicht. Während Besserverdienende, selbst wenn sie weniger lang gearbeitet haben, davon profitieren, wenn sie länger Alg1 beziehen können und von Hartz-4 verschont bleiben. Die Regelsätze von Hartz 4 und von der Grundsicherungsrente massiv zu erhöhen, würde viel weniger Kosten verursachen, als die massiven Geldgeschenke für die Mittelschicht, die die SPD plant.