Kommentar Russland und die Krim: Die Sicherungen durchgebrannt
Nicht zuletzt die russische Schwarzmeerflotte lässt schon länger ahnen, als was Moskau die Krim sieht – als Vorort, der dringend eingemeindet werden soll.
W ladimir Putin ist offenbar die 50-Milliarden-Dollar-Party von Sotschi zu Kopf gestiegen. Anders lässt sich nicht erklären, dass ihm in Blick auf die Krim gerade alle Sicherungen durchbrennen.
Zuerst nehmen gut organisierte, schwerbewaffnete Einheiten Regionalparlament und Regierungssitz der Autonomen Republik Krim in Besitz, ein moskautreuer Parteivorsitzender trommelt seine Abgeordneten zusammen, schickt wunschgemäß die Krim-Regierung in die Wüste, lässt ein Referendum ansetzen und wird zum Statthalter erkoren. Anschließend bittet er Moskau um Schutz. Und Wladimir Putin gewährt das nach ein paar organisierten Knallereien, um die russischen Bürger zu schützen. Wahrscheinlich schweren Herzens.
Das Drehbuch für dieses Szenario wurde ohne Zweifel in Moskau geschrieben. Es folgt sowjetischem Muster. Erst wird eine dem Kreml genehme Regierung installiert, dann folgen der Hilferuf, dann der Einmarsch. Prag und Kabul lassen grüßen. Die Scharfmacher, die zur Vorbereitung von Moskau nach Sewastopol reisten, haben ganze Arbeit geleistet.
Zudem haben ihnen die Revolutionäre vom Maidan mit der Rücknahme des Sprachengesetzes in die Hände gespielt. Da musste man nur noch den örtlichen Hitzköpfen kräftig einheizen, die ihrerseits anschließend ausströmten und seitdem den Volkswillen auf der Krim verkörpern. Wie viele dieser prorussischen Demonstranten längst einen russischen Pass haben, darüber kann man nur spekulieren. Dass die Hardliner aus Sewastopol kommen, der Stadt, in der auch zu friedlicheren Zeiten von fast allen Dächern die russische Trikolore flattert, liegt auf der Hand.
Ein Vorort von Moskau
Für viele russische Politiker war die Sewastopol nie etwas anderes ein Vorort von Moskau – mit russischem Haus, russischer Handelsvertretung, einer Filiale der Moskauer Lomonossov-Universität, zehntausenden Marinesoldaten und ihren Angehörigen mit russischem Pass und der „ruhmreicher“ Historie, die sich in zwei großen Panoramas dort besichtigen lässt.
Dass sie sich in ihrer Stadt immer wie in Russland fühlten, war mit Händen zu greifen. Die Verteidiger von Sewastopol gehören zum Grundstock russischer Mythologie. Dass sie heute wieder die Krim und die russischen Staatsbürger wie 1941 vor den „Faschisten“ bewahren, gibt ihnen die moralische Begründung zu agieren, als wären sie auf einem russischen Weiler.
Mögen auch viele russische Bürger, die vom Moskauer Staatsfernsehen seit Jahren die Gehirne porentief gewaschen bekommen, glauben, dass die Krim schon immer zu Russland gehörte. Doch denke keiner, dass alle Russen auf der Krim die Vereinigung mit Russland herbeisehnen. Die Bewohner der Krim sind weniger in Blöcke unterteilt, als das erscheinen mag. Die Mehrheit, ob Russe, Ukrainer oder Tatare, will in Ruhe leben und eine wirtschaftliche Perspektive haben. Neben Landwirtschaft ist es vor allem der Tourismus, der sie ernährt. Damit dürfte es vorerst vorbei sein. Das juckt Moskau natürlich wenig. Hauptsache, die Krim gehört wieder dazu.
Hasardeur auf Trümmern
Wenn da nicht noch die Krimtataren wären. Sie werden es nicht hinnehmen, fortan in einem russischen Protektorat zu leben. Traditionell sind sie gemäßigte Muslime. Wie schnell sich junge Muslime, auch mit Unterstützung radikaler Kräfte von außen, radikalisieren können, sollte Wladimir Putin im Kaukasus gelernt haben. Putin hat sich bisher als kalter Realpolitiker hervorgetan. Nun, wo er vor den Trümmern seiner eurasischen Zollunion steht, scheint er zum Hasardeur zu werden.
Wladimir Putin träumt schon lange davon, die Staatsdatscha Nr. 1 auf der Krim zu beziehen, in der sich schon Chruschtschow und Breschnew erholt hatten. Der Kaufvertrag war 2004 bereits unterschriftsreif, bevor ein Kiewer Gericht 2005 den Deal verboten hatte. Nun könnte es sein, dass Putin sein Häuschen in Jalta bald geschenkt bekommt. Der Preis dafür wird trotzdem hoch sein. Sehr hoch.
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