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Kommentar Russland-Ukraine-KonfliktKriegsrecht kennt nur Verlierer

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Kriegsrecht bedeutet immer eine Einschränkung demokratischer Freiheiten. Doch warum will Kiew es ausgerechnet jetzt verhängen?

Ukrainische Nationalisten protestieren am Montag im Kiew Foto: reuters

W er mit dem Ruf „Tod den Feinden“ und die „Ukraine über alles“ in militärischer Kleidung durch die Straßen einer europäischen Hauptstadt zieht, kann kein Bündnispartner einer demokratischen Zivilgesellschaft sein. Auch dann nicht, wenn er in einem konkreten Fall richtig liegt. Und die ukrainischen Nationalisten, die am Montag das Straßenbild der ukrainischen Hauptstadt Kiew beherrschten, haben zumindest in einem Punkt recht: In dem jüngsten Konflikt zwischen der Ukraine und Russland liegt die Schuld eindeutig bei der russischen Regierung.

Diese hat auf ukrainische Schiffe schießen lassen, diese hat ukrainische Seeleute verletzt, diese hat die Krim völkerrechtswidrig annektiert und diese tut seit zwei Jahren alles, um die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdansk am Asowschen Meer wirtschaftlich in die Knie zu zwingen.

Russland muss der Ukraine den reibungslosen Zugang zu seinen eigenen Häfen im Asowschen Meer gewähren. Das verlangt das internationale Seerecht und das verlangt auch ein 2003 zwischen der Ukraine und Russland geschlossener Vertrag über die gemeinsame Nutzung des Asowschen Meeres. Doch daran hält sich Russland nicht. Im Gegenteil, spätestens seit dem Bau der Brücke von der Krim nach Russland ist Moskau dabei, der Region um Mariupol wirtschaftlich den Garaus zu machen.

Doch mit der Ausrufung des Kriegszustandes erreicht Kiew genau das Gegenteil von dem, was es eigentlich erreichen will. Wenn man einmal der Regierung in Kiew unterstellen darf, dass ihr Demokratie und die Unterstützung des Westens und die Ablehnung rechtsradikaler Gruppen ein Anliegen sind. Kriegsrecht bedeutet immer eine Einschränkung demokratischer Freiheiten. Laut ukrainischem Gesetz können nach Ausrufung von Kriegsrecht Medien geschlossen, Fahrzeuge und Wohnungen beschlagnahmt, Grenzkontrollen verschärft, Wahlen verschoben werden.

Grafik: infotext-berlin.de

Es stellt sich die Frage, warum will Kiew ausgerechnet jetzt das Kriegsrecht verhängen? Es hatte schon schlimmere Zeiten gegeben. Allein im Jahr 2017 hatte die OSZE zehnmal mehr Opfer im Donbass gezählt als 2018. Vielleicht sieht da ja doch ein in Meinungsumfragen chancenloser Präsident Poroschenko die Möglichkeit, auf diese Weise seine Amtszeit zu verlängern.

Verfolgt man die Verlautbarungen des ukrainischen Präsidenten, hat er mit der Ausrufung des Kriegsrechts offensichtlich auch auf internationaler Bühne wichtige Unterstützer. So scheint sich der Internationale Währungsfonds genauso wenig an der Verhängung des Kriegsrechts zu stören wie der polnische Präsident oder die Nato.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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18 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Kriegerische Auseinandersetzungen führen zu Verhärtungen, zu Nationalismus und Chauvinismus. Genau das bezweckt Moskau ja auch. Dort möchte man die Eskalationsschraube immer weiter drehen, jegliche Entwicklung innerhalb der Ukraine abwürgen und mit dem permanenten Kriegszustand das Land komplett lähmen.



    Nur um dann scheinheilig auf die Ukraine zu zeigen und "Mäßigung" einzufordern.



    Selbstverständlich richten sich die aggresiven Botschaften Putins auch nach innen. Der eigenen Bevölkerung soll veranschaulicht werden, was passiert, wenn man Teil des "verschwulten" und "verweichlichten" Europa mit seinem absurden Ideen von Demokratie und Rechtsstaat werden möchte.



    Dabei wird natürlich alles vernebelt. Auf dem Maidan war jener Freiheitskampf erfolgreich, den viele russische Bürger auch gern in ihrem Land gehabt hätten und der 2011 gewaltsam unterdrückt wurde. Demonstranten riefen dabei: "Putin ab nach Magadan", das klingt ihm bis heute in den Ohren). Im Gegensatz zu Russland gibt es in der Ukraine freie Wahlen und Kandidaten werden nicht willkürlich ausgesondert und mal eben mit erfundenen Vorwürfen ins Gefängnis gesteckt, um die Kandidatur unmöglich zu machen.



    In Moskaus Propaganda wird daraus ein faschistischer Umsturz.



    Obwohl die russische Propaganda behauptet, es gäbe weder eine ukrainische Nation, noch Sprache, noch einen richtigen Staat, wird an anderer Stelle eine Unterdrückung von "Russen" und der russischen Sprache im Osten der Ukraine durch eben jenen Staat und seiner ukrainisch sprechenden Bevölkerung gefaselt.



    Wer chauvinistisch wie die russische Führung einem noch jungen Staat Land, den Nationalcharakter und die eigene Sprache abspricht, ihm willkürlich Gebiete steihlt und Krieg führt, braucht sich wahrlich nicht zu wundern wenn auf Fahne, Sprache, Tradition und Stolz wert gelegt wird, Insignien eines Staates, die bei uns zu Recht eher verpönt sind.



    Die Ukraine ist getrieben und angesichts der Umstände gefestigter als man denken könnte.

  • Und was ist hier die Quintessenz Herr Clasen?

    Die Rechten da gefallen uns nicht, Check. Helfen wollten wir den Ukrainern auch nie wirklich, Check.

    Russland und die Ukraine kämpfen nicht in der gleichen Liga. Bildlich gesprochen, fehlen den Ukrainern mindestens 50 Pfund gegen die Russen.

    • @Sven Günther:

      Stellen Sie sich mal vor eines Tages sitzen die Vertreter der Leute mit den Fackeln im Europaparlament. Oder Sie werden unsere Waffenbrüder.

      Sind Sie auf so eine Zukunft scharf?

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wie sollen Abgeordnete aus der Ukraine im Europaparlament sitzen. Russland hat doch sein Veto eingelegt. Wussten Sie das etwa nicht ?

        • @60440 (Profil gelöscht):

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      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Leute mit den Fackeln sitzen schon im Europaparlament.

        Die Rechten in der Ukraine unterscheiden sich auch nicht wesentlich zu denen in Polen oder Ungarn, in Russland gibt es das Gleiche.

        Die Frage ist ganz einfach, wollen wir den Ukrainern gegen die Russen helfen oder nicht.

        • 6G
          60440 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          Und Putin unterstützt die Faschisten in Europa, die ihn wiederum wie einen Guru verehren, die Straches, Le Pens, Gaulands. Sie sind aus ähnlichem Holze geschnitzt und haben sehr ähnliche Interessen. Sie sin gegen Demokratie und Rechtsstaat, gegen freie Presse und unabhängige Justiz, allgemein gegen das verschwulte linksgrün-versiffte Europa. Und Mama gehört an den Herd und in ihrem Bett liegt ein Ehemann und sie betreut die Kinder ..

        • @Sven Günther:

          "Die Rechten in der Ukraine unterscheiden sich auch nicht wesentlich zu denen in Polen oder Ungarn, in Russland gibt es das Gleiche."

          Irrtum. Viele sind offen faschistisch. Und die Ukraine ist kein Kleinstaat. Sie würde (ohne Krim) das zweitgrößte Land nach Frankreich und mit 40.000.000 Einwohnern wäre sie auch ein Schwergewicht.

          Die jetzige Ukraine in der EU würde einen massiven Rechtsruck bedeuten.

          "Die Frage ist ganz einfach, wollen wir den Ukrainern gegen die Russen helfen oder nicht."

          Den Ukrainern würde ich schon helfen. Aber hier geht es nur darum, welche Oligarchen die Ukrainer auspressen dürfen.

          • 6G
            60440 (Profil gelöscht)
            @warum_denkt_keiner_nach?:

            Allet Faschisten, außer Mütterchen Russland ...

            • @60440 (Profil gelöscht):

              Erst lesen, dann denken und dann schreiben. So schaffen Sie es vielleicht irgendwann, nicht so daneben zu liegen...

              • 6G
                60440 (Profil gelöscht)
                @warum_denkt_keiner_nach?:

                Die Ukraine führt keine Angriffskriege, annektiert kein Territorium, versucht sich europäischen Standards zu nähern (Korruptionsbekämpfung etc.) , weil sie die Hoffnung eines Tages doch zur EU zu gehören nicht aufgeben wollen. Es gibt in der Ukraine freie Wahlen und eine freie Presse, trotz permanenter Störungen, Kriegstreibereien etc. seitens Russlands.

                Wenn man schon unbedingt Faschismus labeln will ...

                • @60440 (Profil gelöscht):

                  "Es gibt in der Ukraine freie Wahlen und eine freie Presse..."

                  Es muss mehrere Ukrainen geben. Oder wie kommen Sie dazu solche Phrasen zu dreschen?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Und die Jobbik in Ungarn oder Kukiz in Polen etwa nicht?

            Aber die Ukraine in die EU oder Nato aufzunehmen steht nicht zur Debatte.

            Aber den Russen muss klar werden, daß so ein Verhalten wirtschaftliche Konsequenzen bedeutet.

            • @Sven Günther:

              Welche denn? Engere Bindung an China?

              Haben die "wirtschaftlichen Konsequenzen" irgendeine Wirkung, die uns nützt?

              PS: Jobbik und Kukiz haben keine eigenen bewaffneten Einheiten. Ihnen entgeht die Dimension.

              • @warum_denkt_keiner_nach?:

                Warum denn nicht, die Chinesen wären wenigstens in einer ähnlichen Gewichtsklasse.

                Es ging nie darum, das uns die Sanktionen nützen.

                Das Aufstellen eigener bewaffneter Einheiten dürfte z.B. in Polen eine Sache von Tagen sein. Die üben ja alle schon in der Wojska Obrony Terytorialnej,

                • @Sven Günther:

                  Ein Bündnis aus russischer Militär- und chinesischer Wirtschaftsmacht wäre überhaupt nicht lustig. Warum sehen Sie das so gelassen?

                  "Es ging nie darum, das uns die Sanktionen nützen."

                  Mir machen nutzlose Politik und ich soll das gut finden? Wenn man etwas tut, sollte es eigentlich zu etwas führen.

  • "Doch warum will Kiew es ausgerechnet jetzt verhängen?"

    Krieg ist die beste Ablenkung...