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Kommentar Rot-Rot-Grün in BerlinSchaut auf diese Stadt

Gereon Asmuth
Kommentar von Gereon Asmuth

Die neue Koalition steht. Sie wird beweisen, wie linke Politik im Angesicht von Rechtspopulisten funktioniert: mit viel Haltung.

Das Rote Rathaus, das nun ein ro-rot-grünes Rathaus sein soll Foto: dpa

D ie rot-rot-grüne Koalition in Berlin steht. Erstmals wird es ein solches Dreierbündnis unter Führung der SPD geben. Das mag keine Sensation mehr sein, weil R2G ja auch in Thüringen fast schon zu geräuschlos regiert – wenn auch unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei. Dennoch hat die Koalition Bedeutung weit über das künftig rot-rot-grüne Rathaus hinaus. Denn sie setzt Maßstäbe. Auf dreifacher Ebene.

Zum Ersten hatten die Verhandlungen Modellcharakter für ein ähnliches Bündnis auf Bundesebene. Nicht der unter linken Streithähnen über Jahrzehnte gepflegte Zickenterror war tonangebend, sondern das Motto „Man muss auch gönnen können“. Weil niemand unüberschreitbare „rote Linien“ zog, kam auch niemand in Gefahr, das Gesicht zu verlieren. Ja, die Verhandlungen machten es sogar möglich, parteiinternen Streit zu überwinden – wovon vor allem die SPD profitierte.

Zum Zweiten zeigt das Koalitionstrio, wie weit sich linke Politik ändern muss, wenn einem die AfD im Nacken sitzt: nämlich gar nicht. Die Berliner knickten an keiner Stelle ein, um sich bei den angeblich besorgten Bürgern einzuschmeicheln, sondern zeigen Haltung und planen Verbesserungen in der Flüchtlingspolitik. Selbst einen weitgehenden Verzicht auf Abschiebungen haben sie sich auf die Fahne geschrieben.

Und das führt zum dritten und wichtigsten Punkt: Rot-Rot-Grün zeigt, dass ein Politikwechsel nach Wahlen nicht nur theoretisch denkbar ist – sondern praktisch machbar. Das beginnt mit dem hoch symbolischen Umbau des Boulevards Unter den Linden in eine autofreie Flaniermeile und endet damit, dass die stets im Ruch zu großer Nähe zur Bauwirtschaft stehende Berliner SPD erstmals das Stadtentwicklungsressort abgibt. Dieser Schritt weg vom Filz war unumgänglich, gerade in Zeiten wachsender Demokratieverdrossenheit.

Bisher steht das meiste nur auf dem Papier. Was Rot-Rot-Grün wirklich hinbekommt, ist offen. Aber es lohnt sich, genau hinzuschauen. Auf diese Stadt.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters
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28 Kommentare

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  • @ Daniel Neuburg:

    Ach nee, sieh mal an, ein wackerer Hauptstadtbürger fühlt sich herausgefordert.

    Offenbar überschätzt Du Bedeutung und Profit der bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung stark.

    Aber wenn wir schon beim Thema sind: Bis zur Reichsgründung 1871 war Homosexualität im Königreich Bayern nicht strafbar, das wurde mit dem preußischen Recht übernommen. Und Ludwig II war wohl sehr offen was das betraf (nach Klaus Reichold).

    "Die Industrie" ist kein Stück Kriegsbeute die "zurückgegeben" werden kann. Berlin hat es im Wahn der Hauptstadt seit 1990 schlicht versäumt, günstige Standortbedingungen zu schaffen. Kreative Startups sind zwar sexy aber auch arm, um es mal mit dem Berliner Ludwig II zu sagen. Da wird auch rot-rot-grün wohl nichts daran ändern wollen und können.

    Alles in allem sind Deine Argumente sehr vergangenheitslastig, sei es der Kulturkampf der Bismark Ära oder die lokalpatriotische Thematik der "Saupreußen" des späten 19. Jahrhunderts.

    Wie wäre es, mal das 21. Jahrhundert zu betrachten?

    Aber das Spreeathen wäre eben nicht das Spreeathen wenn nicht auch hier in einem Akt kollektiven Eskapismus die reale Situation schöngeträumt und die Vergangenheit glorifiziert würde.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Wie schön, jetzt wird aus Berlin endlich eine blühende Landschaft. Vorwärts immer, rückwärts nimmer!

  • Wie kann Rot-Rot-Grün zeigen, dass ein Politikwechsel auch praktisch machbar ist, wenn Rot-Rot-Grün noch gar nicht regiert? Sie haben jetzt Verhandlungen abgeschlossen. Das Ergebnis muss jetzt erst mal von den Parteien angenommen werden und erst dann kann überhaupt etwas praktisch bewiesen werden.

     

    Aber mich stört noch viel mehr, dass hier von "linker Politik" gesprochen wird. Weder die SPD noch die Grünen sind eine wirkliche linke Partei. Die SPD war es mal, die Grünen wollten es vielleicht mal sein, waren es aber nie. Wenn wir hier also etwas haben, dann ist es ein Mitte-Links-Bündnis, denn maximal die Linkspartei kann auch als linke Partei angesehen werden.

  • man macht also die Politik, die Trump zum Wahlsieg verholfen hat. Bei Wählern der Linken und der Berliner Grünen (weit linker als alle anderen) kann man damit sicher punkten, aber die SPD wird am Ende weiter verloren haben.

  • Bayern ist ja auch kein defizitäres Slum das am Tropf des Länderfinanzausgleichs und der Bundesergänzungszuweisungen hängt. Dort wird der Haushalt noch selbst erwirtschaftet und Flughäfen funkitonieren.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @Saccharomyces cerevisiae:

      Bayern ist ein Kriegsgewinnler, nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die preußische Industrie in die amerikanische Besatzungszone abgewandert. Vorher zeichnete sich Bayern „nur“ durch besonders ästhetische Schlösser eines homosexuellen Königs aus. Beides kommt Bayern heute zugute. Deshalb erstaunt mich umso mehr, warum sich die CSU so gegen die gleichgeschlechtliche Ehe stellt, wo doch so viel Profit aus dem ästhetischen Empfinden eines Homosexuellen gezogen wird.

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Korrekt. Bayern hat dazu in den Anfangsjahren der BRD als damaliges Agrarland massiv von den Ausgleichszahlungen der anderen West-Bundesländer (dem Vorläufer des Länderfinanzausgleichs) profitiert.

        • @esgehtauchanders:

          Tatsache ist aber auch, daß Bayern diese Zahlungen genutzt hat, um sich zu industrialisieren und jetzt schon seit vielen Jahren Einzahler in den Länderfinanzausgleich ist. Das wiederum ist für Berlin (und Bremen) überhaupt nicht absehbar.

        • @esgehtauchanders:

          Das ist ja auch richtig so.

          Problematisch wird's wenn es - wie in Berlin oder Bremen - auch mit Ausgleichszahlungen nicht besser wird.

          Ja eigentlich sogar schlechter - Berlin braucht seit Jahren jedes Jahr mehr Geld vom Rest der Republik.

           

          Das hat zumindest Bayern allen anderen voraus.

          • 2G
            2097 (Profil gelöscht)
            @Thomas_Ba_Wü:

            Bayern profitiert halt davon, dass die preußische Industrie sich in der amerikanischen Zone angesiedelt hat, also in Bayern. Die preußische Industrie ist bis heute nicht zurückgekehrt nach Berlin, da dies wohl auch kaum im Interesse von Bayern sein kann, sind die Ausgleichszahlungen völlig korrekt. Wenn Bayern dies nicht möchte, können sie uns gerne wieder unsere gute alte saupreußische Industrie zurückgeben. Gilt übrigens auch für Baden-Württemberg. Teilweise ja auch amerikanische Zone. Also den Ball immer schön flach halten und daran denken, was der Süden den blöden protestantischen saupreußischen Industriellen heute zu verdanken hat, nämlich eine gute wirtschaftliche Lage, wo man großkotzig, also in guter alter saupreußischer Manier, über Schwächere herziehen kann. Glückwunsch, die charakterliche Assimilierung der Bayern zu Saupreußen hat funktioniert.

            • @2097 (Profil gelöscht):

              nein, in Bayern hat man Zukunftechnologien eine Chance gegeben. Dort sitzen alle wichtigen Medienhäuser, dort sitzen die wenigen dt. Biotech-Unternehmen.

              Dort setzt man auf Bildung und einen funktionierenden Rechtsstaat. In Berlin weicht man den Rechtsstaat gerade wieder weiter auf, indem man beispielsweise darauf verzichtet, eine Ausreisepficht auch durchzusetzen.

            • @2097 (Profil gelöscht):

              Vielen Dank für Daimler, BMW, Porsche, Trumpf und all die "hidden Champions" die ihr uns runtergeschickt hab [ironie off]

              Haben sie noch ein Beispiel?

               

              Ihr Argument mit der Besatzungszone halte ich für eine faule Ausrede.

              Das Problem ist nicht, dass Berlin keine Industrie wie Bayern hat - das Problem ist, dass massiv Geld nach Berlin fließt und nichts besser wird.

              Im Gegenteil - die brauchen jedes Jahr mehr.

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      Bayern hat etwa 20-25 Jahre lang vom Länderfinanzausgleich profitiert und insbesondere das Geld aus der starken Kohle- und Stahl-Region NRW gerne genommen, um das rückständige, weithin von Agrarwirtschaft und Geschwisterehen geprägte Land über Wasser zu halten. Erst als die Einnahmen aus dem alpinen Tourismus zu sprudeln begannen und das IOC den gebeutelten Schrumpfhirnen eine Olympiade schenkte, konnte man dort schwarze Zahlen schreiben.

       

      Leider meinen viele ungebildete Stoffel dieses Landstriches heute ja, sie schuldeten den übrigen Bundesländern rein gar nichts dafür, dass sie von diesen jahrzehntelang mit durchgeschleppt wurden.

  • Glück auf!

  • Nur steht in Berlin der Wähler hinter linker Politik, in anderen Regionen herrscht Dummheit und Fremdenfeindlichkeit.

     

    Ich glaube nicht dass Rot-Rot-Grün in Bayern eine Chance hätte!

    • 3G
      30404 (Profil gelöscht)
      @Chaosarah:

      Zur Blöd dass diese angebliche "Dummheit und Fremdenfeindlichkeit" Bayerns die Rechnungen für Berlin bezahlt.

    • @Chaosarah:

      Ich bin ja auch für R2G als einzige realistische einigermaßen linke Regierungsoption. Aber jeden, der (noch) nicht dieser Meinung ist, als dumm und fremdenfeindlich zu bezeichnen, ist nicht hilfreich. Schließlich muss man Wähler überzeugen und nicht beschimpfen.

    • @Chaosarah:

      Deswegen geht's Bayern so gut ;)

       

      Ernsthaft: Es benötigt eine Alternative zum aktuellen Politikangebot.

      Und die Alternative sollte nicht die Einzige sein.

       

      Eine pragmatische linke Politik - etwas symbolträchtiger als das stille Thüringen - wäre durchaus wünschenswert.

       

      Ich wünsche den Berlinern dass was im konservativen Ba-Wü ein Kretschmann erreicht hat - das ihre Regierung überzeugt.

      Allein ich glaube nicht daran.

      • @Thomas_Ba_Wü:

        Bayern geht es so gut weil die Erbschaftssteuer Landessteuer ist, weil Bayern nach dem Krieg unter amerikanischer Schirmherrschaft stand.

         

        Und es ist auch keine angebliche Dummheit und Fremdenfeindlichkeit wenn die CSU mit AfD Parolen und Schwachsinn wie der AusländerMaut regelmässig die absolute Mehrheit holt. Das ist schlicht dumm und fremdenfeindlich!

    • @Chaosarah:

      Aber in München.

    • @Chaosarah:

      So einfach ist die Welt, was?

  • Berlin braucht vor allem zwei Dinge: Geld und Mut. Stattdessen wird die Straße unter den Linden zur autofreien Zone erklärt, hier und dort noch ein bisschen Tempo 30 eingeführt. Klientelpolitik. Berlin hat andere Probleme. Allen sind diese bekannt: Flughafen, sog. No-Go-Area`s, eine Menge Schulden um nur einige zu nennen.

    Die nun vereinbarten ausbleibenden Abschiebungen von Nichtanerkannten setzten ebenfalls falsche Signale. Noch mehr arme Menschen, die keinen Asylanspruch haben, werden den oft tödlichen Weg nach Europa aufnehmen und für Flüchtlinge, die wirklich unsere Hilfe benötigen, ist dann weder Platz noch Geld vorhanden. Womit wir wieder beim Eingangsstatement wären...R2G oder R2D2....das wird wieder nicht`s. Früher war Berlin auch schon arm, aber wenigstens sexy...

    • @Christian Engel:

      Im Paralleluniversum der Compact-/Pi-News-Leser funktioniert das halt so.

       

      Der kleine, doch tatsächlich ein Smartphone besitzende Geflügelfarmer in Burkina Faso hat schon seit Wochen sehnsüchtig auf den Berliner R2G-Koalitionsvertrag gewartet und sich fast zu Tode gegoogelt. Nun endlich steht die Schwarte online und da schickt er mal eben den Jüngsten los.

       

      Dass die EU dem Vater die Existenz ruiniert in dem gerade ein Container halbgefrorener, EU-subventionierter Hühnerflügel auf den Wochenmarkt von Ouagadougou abgekippt wurde, weiß der in der Hass-Bubble befindliche PI-Leser natürlich nicht, aber es stört ihn auch nicht sonderlich. Schließlich wartet er ja vielleicht sehnsüchtig auf den nächsten IS-Anschlag, um die nächste Hass-Sau durchs Dorf jagen zu können.

    • @Christian Engel:

      Du bist also der Meinung, dass sich Menschen, die eigentlich gar keine Hilfe brauchen, auf den tödlichen Weg nach Europa bewegen, wo sie dann den Menschen den Platz wegnehmen, den wirklich hilfsbedürftige Menschen bräuchten. Du glaubst also, Menschen verlassen vollkommen Grundlos ihre Familie und ihre Heimat? Armut scheint für dich keine Not zu sein? Hunger und Perspektivlosigkeit dann wahrscheinlich auch nicht? Interessant!

  • „Man muss auch gönnen können“

    Berlin gönnt sich ja sonst nichts auf Kosten des Restes unseres Bundeslandes. Es wäre eine positive Überraschung wenn dieser Stadtstaat endlich mal sinnvoll wirtschaften würde...

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @Dideldidum:

      "...sinnvoll wirtschaften..." Das hat bisher keine einzige Partei hinbekommen im Stadtstaat Berlin. Die CDU und FDP haben hier ja noch mehr versagt, als die linken Parteien.

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Absolut war. Die letzte Koalition in Berlin war nach so ziehmlich jedem Maßstab schlechter als die vorher!

        • @Dideldidum:

          Die Aussage, dass wirklich jede Partei an der Misere teilhat kann man z.B. auch daran erkennen, dass in Brandenburg eine ROT ROTE Regierung mitverantwortlich ist für das Flughafendesaster.