Kommentar Rot-Grün-Rot in Bremen: Mehr Plan als Mut
In disziplinierten Verhandlungen haben SPD, Grüne und Linke in Bremen einen Koalitionsvertrag verfasst. Viel verspricht der aber nicht.
V or sechs Wochen hat Bremen gewählt. Jetzt endlich, pünktlich zum Ferienstart, liegt der Koalitionsvertrag vor. Zu dem sich SPD, Grüne und Linkspartei – mit unterschiedlich intensiver Basisbeteiligung – noch verhalten müssen. Die Zustimmung vorausgesetzt, wird das kleinste Bundesland irgendwann im August, nach der Sommerpause, einen neuen Senat bekommen. Und dessen Präsident wird mit Andreas Bovenschulte, wie bereits seit 73 Jahren, wieder ein Mann mit SPD-Parteibuch sein: Für die Sozialdemokraten ist das nach ihrer krachenden Wahlniederlage ein Riesenerfolg.
Neben der bemerkenswerten Disziplin der Verhandelnden, die – ungewöhnlich fürs Großdorf Bremen! – keine kompromittierenden Details durchgesteckt haben, ist dieser Machterhalt die für Außenstehende spektakulärste Nachricht. Projekte mit bundesweiter Strahlkraft wären in Bremen zumal im klimapolitisch gebotenen Einstieg in die Verkehrswende möglich, aber da haben die neuen Partnerinnen darauf verzichtet, sich schlagzeilenträchtig festzulegen.
Ja, Bremens City soll bald autofrei werden, das beschäftigt gerade die vielen Auto-PendlerInnen im regionalen Oberzentrum und rundherum. Und es ist ein markantes Signal für alle, die wissen, dass Daimler der größte Arbeitgeber des Landes ist und Bremerhavens Häfen von der Verschiffung deutscher Autos in alle Welt abhängig sind.
Der Bremer Regierungschef Carsten Sieling (SPD) tritt ab und will nicht mehr an der Spitze der nächsten Landesregierung stehen. Das kündigte er am Montag in Bremen an, nachdem sich SPD, Grüne und Linke auf die erste rot-grün-rote Landesregierung in einem westdeutschen Bundesland geeinigt hatten. (dpa)
Bundesweit für Aufmerksamkeit hätte Rot-Grün-Rot aber durch eine Neuregelung des ÖPNV sorgen können: Da lagen zwei radikale Modelle auf dem Tisch – das des 365 Euro-Jahrestickets nach dem Vorbild Wiens und das eines per Umlage plus Gewerbesteuererhöhung finanzierten fahrscheinlosen Bus- und Bahnangebots. Statt sich für eines zu entscheiden, haben sich die Koalitionäre in spe bloß auf einen Prüfauftrag verständigt. Nicht sehr spektakulär.
Für die Haltbarkeit und Zusammenarbeit des künftigen Senats ist dieses Ball-Flachhalten eher ein Hoffnungszeichen: Nicht wenige ProvinzpolitikerInnen spielen bei solchen Gelegenheiten für die Galerie und präsentieren eine sensationelle Lösung, die sobald der Beifall abgeklungen ist, im Alltag versagt. Erst zu prüfen, welche der beiden Varianten die bessere ist, und sie dann umsetzen, ist ein vernünftiger Weg der politischen Gestaltung. Wenn Rot-Grün-Rot diesen Weg beibehält, taugt Bremen am Ende als Modell – für unaufgeregtes, planvolles linkes Regieren. Und das wäre am Ende wirklich Aufsehen erregend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers