Kommentar Regierungswechsel in Madrid: Spanien muss neu gedacht werden
Pedro Sánchez hat den korrupten Regierungschef Rajoy aus dem Amt gekickt. Nun muss er per Minderheitenregierung das zerrissene Land einen.
E ine „Frankenstein-Regierung“ – so nennen die Gegner des Sozialisten Pedro Sánchez verächtlich, was er durch ein erfolgreiches Misstrauensvotum gegen den konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy auf die Beine gestellt hat. Sánchez hat es verstanden, ein breites Sammelsurium politischer Kräfte hinter sich zu vereinen und so zum neuen Regierungschef Spaniens zu werden. Da sei keine Stabilität zu erwarten, schimpfen die abgewählten Konservativen, und ihre rechtsliberalen Bündnispartner warnen vor „der Zerstörung Spaniens“.
Es stimmt, Sánchez verfügt nur über 84 Abgeordnete in einem 350 Sitze starken Parlament. Noch nie war eine Minderheitsregierung so schwach. Doch vielleicht liegt genau darin die Chance. Denn Sánchez braucht, was Spanien dringend braucht: Dialog. Er muss aus dem Parlament mit ständig neu geschmiedeten Mehrheiten regieren, statt dies im Alleingang oder per Veto zu tun wie Rajoy.
Es besteht viel Gesprächsbedarf, um so schwerwiegende Fragen wie die verfahrene Situation in Katalonien zu lösen. Statt sich wie Rajoy hinter der Justiz zu verstecken, wäre politisches Handeln der richtige Ansatz. Nur wenn Spanien neu gedacht wird, ist ein Auseinanderfallen zu verhindern. Reformen tun Not, auch wenn es dazu eine Verfassungsänderung braucht. Je breiter der Dialog, umso besser das Ergebnis.
Das gleiche gilt für die soziale Lage. Anstatt mit der Schere zu regieren, braucht Spanien wieder eine integrative Sozialpolitik. Zu viele Arbeitslose haben dank Rajoys Politik alles verloren. Zu viele Familien sitzen auf der Straße, zu lang sind die Warteschlangen bei der Gesundheitsversorgung und zu groß die Schulklassen. Die Arbeitsmarktreform Rajoys hatte zur Folge, dass in Spanien zwar Arbeitsplätze geschaffen werden, diese aber schlecht bezahlt sind und meist nur von kurzer Dauer. Nur ein ernst gemeinter sozialer Dialog kann die Lage entspannen. Wie das gehen kann, zeigt das benachbarte Portugal, das sich bereits vor einigen Jahren von der Sparpolitik verabschiedet hat.
Zudem wurde Spanien unter Rajoy zu einem autoritären Land, in dem nicht nur Separatisten juristisch verfolgt werden, sondern auch Twitteraktivisten und Rapper wegen ihren Texten hinter Gitter müssen. Auch hier braucht es Diskussionen – und eine Gesetzesreform.
Eins steht jetzt schon fest: Die Spanier werden Sánchez nie vergessen, dass er Rajoy und seine Partido Popular, die wohl korrupteste Partei in der Europäischen Union, aus den Institutionen verbannt hat. Allein das war es schon wert, egal was nun kommt.
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