Kommentar Regierungserklärung: Merkel bleibt Merkel bleibt Merkel
Selbstkritisch startet die Kanzlerin ihre Amtszeit – spricht über ein gespaltenes Land, kritisiert sogar die CSU-Jungs. Dann wird's wieder merkelig vage.
Langweilig“, „fast einschläfernd“, „mittelmäßig ambitioniert“ – die Kommentatoren gingen nicht freundlich mit Angela Merkel um, als diese 2014 in die dritte Amtszeit startete. Mal wieder eine Große Koalition, was war da schon groß zu erwarten?
Dann kamen die Flüchtlinge. Über eine Million Menschen sind seit 2015 aus Syrien und anderen Ländern nach Deutschland geflohen. Die Briten stimmten 2016 für den Austritt aus der EU. Und bei den Bundestagswahlen 2017 wurde die AfD drittstärkste Partei. Drei Punkte, die die Kanzlerin 2014 nicht im Manuskript hatte; drei Zäsuren, die Deutschland veränderten und weiter verändern.
Zum Auftakt ihrer vierten Amtszeit verhehlte Angela Merkel nicht, dass sie diese Dinge nicht hatte kommen sehen. Sie sprach ungeschönt über ein gespaltenes, polarisiertes Land. Ungewohnt selbstkritisch also startete sie in ihre vierte Amtszeit – und ebenso offensiv. Sie verurteilte das Vorgehen der Türkei in Afrin, drohte dem amerikanischen Präsidenten im Zollstreit mit Gegenmaßnahmen und – Höhepunkt ihrer Antrittsrede – widersprach den Jungs von der CSU, Innenminister Horst Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, auf offener Bühne: Der Islam sei inzwischen ein Teil Deutschlands. Das saß.
Aber es genügte nicht. Merkel versuchte sich an der großen Vision, entwarf fast so etwas wie einen Nachruf, der am Ende ihrer Regierungszeit stehen könnte: In vier Jahren soll die Gesellschaft menschlicher sein, der Sprung ins digitale Zeitalter geglückt und ein neuer Aufbruch für Europa erreicht sein. Was fehlte, war ein strategischer Ansatz, ein Fahrplan in diese schöne, menschliche, globalisierte und digitalisierte Welt. Kein Wort von Umverteilung im eigenen Land oder über den Umgang mit wachsender EU-Skepsis in den Nachbarländern. Stattdessen tat Merkel, was sie gern tut: Sie zählte Vorhaben auf, erwähnte einige noch zu gründende Kommissionen und versprach, selbst fleißig zu arbeiten.
Gerade für viele Europäer dürften Merkels wolkige Sätze zur EU eine Enttäuschung gewesen sein. Sie zählen auf Deutschland – gut möglich, dass diese Groko die letzte Regierungskoalition ist, die der EU noch aufgeschlossen gegenübersteht.
Die Enttäuschung bei den Deutschen dürfte sich in Grenzen halten. Die Kanzlerin präsentierte sich so wie seit 13 Jahren: Sie kennen mich. Doch zur guten Tradition gehört auch, dass jede ihrer Amtszeiten von unerwarteten Ereignissen geprägt war, auf die Merkel situativ reagierte. Auf Fukushima folgte die Energiewende, auf die Flüchtlingskrise die kurzzeitige Offenhaltung der Grenzen. Man darf also gespannt sein.
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