Kommentar Rechtsextremismus: Die neue Hassgeneration wächst
Innenminister Friedrich hatte recht und unrecht, als er sagte, der Osten werde von Neonazis unterwandert. Es ist noch schlimmer.
E rst vor wenigen Wochen bekam CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) mal wieder eins aufs Dach. Er hatte davor gewarnt, dass Neonazis einige Landstriche in Ostdeutschland unterwandern würden. Prompt hagelte es Kritik, vor allem aus dem Osten, bis Friedrich zurückruderte und sich auf die Floskel zurückzog: Der Rechtsextremismus sei freilich nicht nur ein ostdeutsches Problem, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Da beruhigten sich alle wieder.
Dabei hätte es sich gelohnt, diese Debatte zu führen. Denn natürlich gibt es Neonazis sowohl im Osten als auch im Westen; die „Kameraden“ im Ruhrgebiet sind genauso gefährlich wie die in der Sächsischen Schweiz. Doch unter der Ebene der organisierten Neonaziszene gibt es eben doch Unterschiede. Und nur wer das klar ausspricht und entsprechend handelt, verharmlost das Problem nicht.
Es ist kein Zufall, dass die einzigen beiden Bundesländer, in denen die NPD in den Parlamenten sitzt, ostdeutsche sind (Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern). Die Partei hat sich dort in manchen Regionen festgesetzt und kann sich in ihren Hochburgen auf Wahlergebnisse im zweistelligen Bereich verlassen. Und anders als immer wieder behauptet, werden Parteien wie die NPD nicht aus diffusem Protest gewählt – sondern aus ideologischer Überzeugung.
ist Redakteur im Inlandsressort der taz und zuständig für die Themen Terrorismus und Extremismus.
Jeder Sechste im Osten, so stellt nun eine Studie fest, hat ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Natürlich wählt nicht jeder dieser oft abgehängten Jungmänner die NPD oder macht Jagd auf Migranten. Doch rechtsextremem Handeln geht immer rechtsextremes Denken voraus. Zu Recht warnen die Forscher deshalb vor einer „neuen Generation des Rechtsextremismus“.
Innenminister Friedrich hatte also gleichzeitig recht und unrecht. Der Rechtsextremismus ist im Osten ein größeres Problem als im Westen. Aber von einer „Unterwanderung“ kann keine Rede sein. Vielmehr hat er sich in der Mitte festgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin