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Kommentar Räumung des „Dschungels“Die zynische Inszenierung von Calais

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Frankreich verteilt Geflüchtete symbolisch über das Land. Sie werden weiterhin nach England geschleust, doch jetzt sieht sie niemand mehr.

Sie werden über das Land verteilt, ihr Schicksal bleibt ungewiss Foto: ap

W as für ein groteskes Schauspiel! Jahrelang hatten die französischen Behörden zugelassen, dass sich am Rande der Hafenstadt Calais am Ärmelkanal eine Flüchtlingsstadt bildete, mit Tausenden Menschen in Schlamm und Dreck. Gerichtsurteile, wonach der französische Staat zur Herstellung menschenwürdiger Zustände im „Dschungel“ verpflichtet sei, wurden ignoriert, Helfer wurden kriminalisiert, der Front National wurde in Calais stärkste Kraft, die Autobahn zum Hafen wurde zum Kriegsschauplatz.

Und nun schauen Journalisten zu, wie französische Polizisten zerlumpte Afrikaner und Asiaten in Busse stecken und irgendwohin deportieren, ohne Gewissheit um ihr Schicksal, ohne ihren gewohnten Zusammenhalt, aber mit neuen Koffern und dem Versprechen, sie dürften Asyl beantragen.

Wenn die Flüchtlinge aus Calais wirklich in Frankreich Asyl beantragen wollten und könnten, hätten sie das längst getan. Aber Frankreich hat anders als Deutschland kein Aufnahmesystem für Geflüchtete, das diesen Namen verdient, sondern lässt sogar in Paris Flüchtlinge mittellos unter Brücken schlafen. Und anders als in Großbritannien will in Frankreich auch kaum noch ein dunkelhäutiger Migrant freiwillig bleiben, in diesem Land des Ausnahmezustands und der Polizeiwillkür, der Islamophobie und des Rechtsnationalismus, der Ausländergettos und der Massenarbeitslosigkeit.

Die medial inszenierte Aktion in Calais ist darüber hinaus eine rein symbolische Maßnahme. Das Schleuserwesen aus Frankreich nach Großbritannien hat sich den fast unüberwindbaren Kontrollen längst angepasst. An der Tunneleinfahrt auf Lastwagen springen – das versuchen nur noch die Verzweifelten, die kein Geld und keine Kontakte haben. Die meisten werden von den Schleusern quer durch Frankreich verteilt, bevor sie ein Verkehrsmittel nach England mitbenutzen. Mitunter Hunderte Kilometer legen sie innerhalb Frankreichs zurück, in komplizierten Absprache- und Vorkassesystemen mit Akteuren auf beiden Seiten des Kanals. Nun tut ihnen der französische Staat den Gefallen und verteilt sie selbst.

Es werden also höchstwahrscheinlich nach der Räumung genauso viele Flüchtlinge aus Frankreich britischen Boden erreichen wie vorher. Man wird sie bloß nicht mehr sehen. Der Schein stimmt wieder. Die Menschen sind egal.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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6 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Was mir im Beitrag völlig fehlt, sind Vorschläge, wie Frankreich es anders und besser machen könnte. Stattdessen wird nur draufgehauen und suggeriert, Frankteich sei kein Rechtsstaat mehr. Ein schwacher Text.

  • Ja, denke auch, dass es v.a. Repression ist, um das Migrationsgeschehen in Polizei-Hand zu klammern, und selbstbestimmte Wege zu bekämpfen.

  • Macht es Dominic Johnson hier nicht zu leicht. Alle Schuld den Franzosen, obwohl das Flüchtlingsproblem in erster Linie die Briten betrifft. Seit Johnson in der Brexit-Diskussion seine Nähe zu Tory- und UKIP-Positionen gezeigt hat, bin ich da bezüglich seiner Beiträge etwas kritisch geworden. Auf Seite 2 habt ihr immerhin im Kopftitel auf die britische Problematik hingewiesen. Die Flüchtlingssituation in Calais kann nur solide gelöst werden, wenn sich auch die Briten bewegen.

  • Aus den Augen, aus den Sinn.

  • Das Lager war jedenfalls sichtbar. Man darf sich aber auch nicht leisten, eine Steilvorlage für den FN zu haben. Frankreich geht düster mit den Leuten um. Hoffentlich macht das nicht Schule in Europa.

  • 1G
    12294 (Profil gelöscht)

    Jaja, und mit "die Menschen" sind natürlich nur die Refugees gemeint. Was ist denn bitte mit den Französinnen und den BritInnen, die vielleicht keine Lust haben auf wortwörtlich grenzenlose Solidarität, sondern die vielleicht lieber ein Maß an Kontrolle über Zuwanderung behalten möchten? Schlimm genug, dass man für diese Menschen lediglich eine große Räumung inszeniert statt das Schlepperwesen auszumerzen und dem Rechtsstaat endlich, nach Jahren, Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Aber diese Menschen sind wohl dem Autor egal.