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Kommentar Prozess gegen Lothar KönigAlles, nur nicht rechtsstaatlich

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Der Fall König stand im öffentlichen Fokus. Doch was ist mit anderen Verfahren wegen der Beteiligung an Protesten gegen Neonazis. Waren sie fair?

Beim Prozess gegen Lothar König ist das Medieninteresse groß. Bild: dpa

A uf die Güte der sächsischen Justiz zu vertrauen fällt bereits seit einigen Jahren schwer. Erst die Affäre um den Sachsensumpf, dann die gigantische Handydatenauswertung. Jetzt der Prozess gegen den Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs bei einer Anti-Nazi-Demonstration. Es gab und gibt genügend Gründe, Polizei und Staatsanwaltschaft in Dresden politische Voreingenommenheit zu attestieren.

Dass der Prozess gegen Lothar König nun neu aufgerollt werden muss, ist zwar folgerichtig, aber nicht mehr als die richtige Folge aus einem falschen System. Die Polizei hielt in Dresden ganz offensichtlich entlastendes Material zurück. Und die Staatsanwaltschaft, die sich am Dienstag erstaunt über das „neue“ Material aus den alten Aktenschränken der Polizei zeigte, hielt es offenbar in der Vergangenheit selbst nicht für nötig, das zu tun, was ihre Aufgabe ist: sich selbst ein umfassendes Bild zu machen.

In Deutschland führt eigentlich aus guten Gründen die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen und nicht die Polizei. In der sächsischen Landeshauptstadt war das – wieder – nicht der Fall. Was dabei herauskommt, zeigt der Fall König: erst die Schädigung des Rufs des Angeklagten, dann ein teures Verfahren. Nur kein rechtsstaatlicher Prozess. Der Richter konnte nicht anders, als das Verfahren gegen den Pfarrer auszusetzen.

taz
Martin Kaul

ist Bewegungsredakteur der taz.

Der Prozess gegen Lothar König stand im öffentlichen Fokus, weil ein Pfarrer als angeblicher Krawalldemonstrant besonderes öffentliches Interesse weckt. Sein Fall wirft aber eine strukturelle Frage auf: In Dresden laufen und liefen etliche Verfahren ohne großes Medieninteresse wegen der Beteiligung an Protesten gegen Neonazis. Wer kann garantieren, dass diese Leute ein faires Verfahren erwartet?

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Martin Kaul
Reporter
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10 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    @ boateng

     

    Sind die drei Szeneanwälte für die Dame etwa zuwenig?

  • B
    boateng

    Macht sich hier eigentlich auch jemand bei der Tschäpe

    Sorgen um den Rechtsstaat?

  • RB
    Rainer B.

    Es kümmert die Staatsanwaltschaft und die Polizei herzlich wenig, dass ihre Anschuldigungen i.d.R. vor Gericht keinen Bestand haben. Der Beschuldigte ist in jedem Fall angezählt und den Gerichten kann man nach der x-ten Klageaussetzung auch noch Parteilichkeit vorwerfen. Der Steuerzahler muss eh für den ganzen Quatsch aufkommen.

     

    Ein anderer Leser hatte an anderer Stelle bereits darauf hingewiesen, dass es Juristen und Verwaltungsfachleute aus dem Westen waren, die nach dem Fall der Mauer die Verwaltungen und die Justiz in Ostdeutschland neu organisiert haben. Dabei ist offensichtlich einiges schief gelaufen, was man nun natürlich den Ostdeutschen anlasten kann.

     

    Insbesondere die beharrliche Verwechslung von Rechtsstaatlichkeit mit Rechtslastigkeit wurde damals systemimmanent implementiert.

  • IB
    Ingo Bernable

    "Wer kann garantieren, dass diese Leute ein faires Verfahren erwartet?"

    Wer das glaubt, glaubt auch, dass Recht irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hätte. Gesetze sind bei ehrlicher Betrachtung nicht dazu gemacht fair zu sein, sondern dazu den Laden am Laufen zu halten. Entsprechend werden dann eben auch kritisch-engagierte Bürger die zB gegen Nazis aktiv werden regelmäßig mit oder ohne Grundlage abgeurteilt. Wenn das passiert und die Betroffenen halbwegs organisiert sind gibt´s dann eben mal wieder eine Repressionskosten-Soliparty und die gibt´s oft genug. Und auch das passt ins System, weil Leute die Soliparties organisieren müssen, diese Zeit nicht haben um allzu laut und unbequem Protest zu artikulieren.

  • B
    Beobachter

    Das Verfahren ähnelt in frappierender Weise dem Polizeiskandal um den "Mann in Blau" (FSA-Demo 2009, diverse TAZ-Artikel), auch in diesem Verfahren wurden Beweise und öffentliche Aussagen von der ermittelnden Polizeibehörde beliebig verfälscht, im Endeffekt gingen ALLE Verfahren (insgesamt beläuft sich die Zahl auf mind. 10 unterschiedliche Prozesse in dem ganzen Vorgang) zu Ungunsten der Polizei aus. Bei dem Urteil gegen die beiden straffällig gewordenen Polizisten hat sogar die Staatsanwaltschaft zugegeben, dass das das Verhalten der Polizei (sinngemäß) "kritische Situationen nicht zu filmen schon fast System hat bzw. nicht zum erstenmal auffällig geworden ist". Problematisch ist nicht nur die Ermittlung durch die Polizei selber, hier wäre eine unabhängige Untersuchungskomission oder die Verlagerung der Ermittlung an eine nicht betroffene Staatsanwaltschaft möglicherweise eine Lösung, allerdings bleiben dann noch die oftmals auch noch befangenen Richter wie z.B. Frau Neumann (TAZ-Artikel zum Urteil bei der FSA-Demo 2009), die oft Teil des Netzwerkes sind und auch nicht zu einer vollständigen Aufklärung beitragen, diese sogar mit der Grenze zur Rechtsbeugung behindern.

  • C
    Christian

    Absolut Richtig! Wer stellt sicher das bei weniger bekannten Bürgern dies nicht wieder passiert? Was geschieht mit den unschuldig Inhaftierten? Hier muss etwas passieren und darf nicht im Sande verlaufen..

  • W
    Weinberg

    Empfehlung:

     

    Bist du auf der Durchreise durch den Polizei- und Freistaat Sachsen, dann entferne den Akku aus deinem Mobiltelefon!

  • TK
    Tim kommt nach vorne

    Danke Herr Kaul, dass Sie sich dafür stark machen, auch die anderen Verfahren gegen engagierte Neonazigegner und -gegnerinnen vor Dresdner Gerichten nicht vergessen werden.

     

    Allerdings verharmlost der medial verbreitete Tenor von den sogenannten "Dresdner" oder "sächsischen Verhältnissen", der auch in Ihrem Artikel kolportiert wird, in meinen Augen die Probleme rund um das Thema Politisch motivierte Rechtsbeugung in der bundesdeutsche Justiz. Natürlich sind überzufällig häufig gerade in Dresden unheimlich krasse und offensichtliche justizielle Rechtsbeugungen vorgenommen worden. Aber ähnlich wie das berechtigte Interesse am Schauprozess gegen Herrn König Ihren berechtigten Hinweis hervorruft, das es andere Menschen gibt, die in ähnlicher Weise wie Herr König von der Dresdner Justiz verfolgt und massiv angegriffen werden, so bedarf m. E. das berechtigte Interesse an "Dresdner Verhältnissen" den Hinweis, dass politisch motivierte Rechtsbeugung im Bereich der Justiz keine sächsische Spezialität ist.

     

    Exemplarisch verweise ich auf die Prozesse rund um den Tod von Laye Condés vor dem Landgericht Bremen. Oder den Prozess vor dem Landgericht Dessau-Roßlau zum Tod Oury Jallohs. Weniger bekannt dürfte ein Beispiel aus München sein, wo in einem Prozess um Polizeigewalt 4 Polizeibeamte aussagen, eine 60jährige Frau wäre nicht von ihren Kollegen mißhandelt worden, sondern mehrfach freiwillig mit dem Kopf gegen die Wand gerannt. Die Staatsanwaltschaft glaubt den Beamten ohne weitere eigene Ermittlungen - das Verfahren wird eingestellt.

     

    http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2012/polizeigewalt103.html

  • E
    emil

    haben die technische probleme, oder warum hat die polizei die bänder nicht schon längst geschreddert? passiert doch sonst immer irgendwie.

  • T
    T.V.

    Rechtstaat nennt sich gute Propaganda gegen die Handyüberwachung, die nach wie vor fröhlich stattfindet, auch ganz ohne die USA.