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Kommentar Proteste in TürkeiWeiter, was denn sonst?

Deniz Yücel
Kommentar von Deniz Yücel

Die Besetzer des Gezi-Parks bleiben, denn Erdogan hat keine Zugeständnisse gemacht. Sie haben viel erreicht - und dafür bezahlt. Jetzt müssen sie sich auf Minimalziele einigen.

Sie kämpfen weiter: DemonstrantInnen in Istanbul. Bild: dpa

D ie Besetzerinnen und Besetzer des Gezi-Parks machen weiter. Warum sollten sie auch aufhören? Denn anders als viele, gerade ausländische Medien vermeldet haben, hat Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan keinerlei Zugeständnisse gemacht. Er hat lediglich angekündigt, die Urteile des anhängigen Gerichtsverfahrens abzuwarten.

Wer darin ein Entgegenkommen erkennt, ist entweder naiv oder hat nur geringe Ansprüche an den türkischen Rechtsstaat. Denn was wäre das Gegenteil dieser Einlassung? Ein Ministerpräsident, der öffentlich sagt, dass er auf rechtskräftige Urteile pfeift?

Die Menschen vom Gezi-Park haben jetzt schon viel erreicht. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen vor einer entfesselten Polizeigewalt, haben jeden Meter, den sie im Gasnebel aufgeben mussten, zurückerobert; sind nach jedem brutalen Einsatz in noch größerer Zahl auf die Straße gegangen.

Bild: taz
Deniz Yücel

ist Redakteur der taz. Er twittert als @besser_deniz

Das gilt für die Menschen in Istanbul, das gilt aber umso mehr für die tapferen jungen Leute in Ankara, die sich seit zwei Wochen Abend für Abend der Polizeigewalt aussetzen und dabei − obwohl sie in der Hauptstadt leben − von der türkischen wie der internationalen Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen werden.

Und sie haben dafür bezahlt: Mit ihrer Gesundheit, mit ihrem Augenlicht, mit ihrem Leben. Am Freitag wurde der Tod von Ethem Sarisülük bestätigt, der in den ersten Tagen des Proteste in Ankara von einem Polizisten angeschossen worden war und seither im Koma gelegen hatte. Der vierte Tote.

All das nicht allein wegen eines − übrigens nicht allzu hübschen − Parks inmitten von Istanbul. Schon seit der ersten brutalen Räumung der Parkbesetzer geht es um mehr. Es geht darum, dem selbstherrlichen Ministerpräsidenten und seiner Diktatur der Mehrheit deutlich zu machen, dass er nicht alles so machen kann, wie es ihm gerade passt.

Erdogan hat seine Haltung nicht geändert

Dass Erdogan in der vergangenen Woche eine mehr oder minder legitimierte Abordnung der çapulcu, der „Marodeure“, empfing, war zwar ein symbolischer Erfolg im Kampf um Anerkennung.

Aber in seiner Rede vom Freitagnachmittag hat Erdogan gezeigt, dass er seine Haltung nicht geändert hat. Er wiederholte nicht nur sämtliche seiner Verschwörungstheorien (verantwortlich für die Proteste seien die „Finanzlobby“ und „ausländische Kräfte“) und Propagandabehauptungen (zum Beispiel die, dass Demonstranten, die vor der Polizei in eine Moschee geflüchtet waren, dort Bier getrunken hätten, was der Imam der betreffenden Moschee vehement bestreitet) der vergangenen Wochen. In einem Nebensatz sagte er wörtlich − und das war die ehrlichste Passage seiner Rede −, dass er im Grunde nicht verstanden habe, worum es den Demonstranten gehe.

Natürlich würden die am liebsten die Regierung stürzen. Doch trotz der Unterstützung, die sie in allen gesellschaftlichen Schichten genießen, wird es dafür im Moment nicht reichen. Dafür genießt Erdogan immer noch zu viel Zuspruch in einem großen Teil der Bevölkerung. Das wissen die Demonstranten, auch wenn es nicht alle wahr wollen.

Liste der Forderungen

Der mehr oder minder lose Zusammenschluss namens „Taksim-Solidarität“, auf dessen Schultern ein großer Teil der Verantwortung für den Aufstand lastet, hat vier (eigentlich fünf) Forderungen formuliert: Einstellung aller Bebauungspläne für den Gezi-Park, die Öffnung alles städtischen Plätze für Kundgebungen und Demonstrationen, das Verbot des Einsatzes von chemischen Kampfstoffen, die Freilassung aller in den vergangenen Wochen festgenommenen Demonstranten sowie die Entlassung der Gouverneure von Istanbul, Ankara, Adana und Hatay, welche für die unverhältnismäßig harten Polizeieinsätze verantwortlich sind.

Das kann man so machen. Aber anstatt diese Liste, wie in diesen Tagen im Gezi-Park diskutiert wird, noch um dit und dat (dritte Bosporusbrücke, neuer Flughafen etc.) zu ergänzen, täten die Besetzerinnen und Besetzer gut daran, für sich ihre Minimalziele klar zu definieren. Wenn sie sich mit zwei, drei oder vier Forderungen durchsetzen würden, hätten sie tatsächlich viel gewonnen.

Das wäre der Moment, den sie nicht verpassen dürften. Der Moment, an dem sie sich mit großen Partys auf dem Taksim-Platz, dem Kizilay-Platz in Ankara, den Plätzen in Tunceli, Eskisehir, Bolu zurückziehen könnten; im Wissen, dass sie jederzeit zurückkommen zu können. Aber dieser Moment ist noch lange nicht gekommen.

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Deniz Yücel
Kolumnist (ehem.)
Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.
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4 Kommentare

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  • B
    BULLi

    @ TIM:

     

    Was haben Sie den gesehen bitte sehr? Die gefilterten Bilder der türkischen Medien etwa? Stundenlang die gleichen Bilder zeigen bis der letzte Depp kapiert hat,es sind alles Anarchos dort.

     

    Dies ist die Masche der Erdogan zensierten Presse in der Türkei. Solange das gleiche Verstrahlen bis alle İhrem Führer Erdogan ın den Hıntern reınkriechen. Es ist so widerlich Deutschland 1930 hier mitzuerleben.

  • T
    Tazizus

    Offenbar versucht such Yücel hier mal als seriöser Journalist - was für ein peinlicher, kläglicher Versuch. Hölzern werden ein paar dpa-Meldungen zusammenkopiert und irgendwie verwurstelt, eigene Meinungen sind nicht erkennbar.

     

    Ich glaube, Yücel sollte besser bei seinen Fäkal-Artikeln bleiben, da fällt nicht so stark auf, dass er journalistisch siebte Liga ist. Gewollt, aber nicht gekonnt. Taz ist echt mehr Fremdschämen als Wetten Dass.

  • T
    tim

    wenn man gesehen hat, wie sich nicht wenige "demonstranten" verhielten, ist die forderung nach der freilassung -aller- "demonstranten" lächerlich.

  • B
    Butzimann

    Ja, Deniz, tut mir leid, aber ich hab deine Artikel über die Tage verfolgt. Mehr als die Rolle eines passiven Beobachters, der sich nur stets der Sachlage anpasst, kann ich dir nicht zuerkennen. Wie ein Getriebener wirkst du auf mich und kommentierst diese Themen im Berichtstil.

     

    Anfangs hast du noch ein bisschen in Erdogans Horn geblasen, so nach dem Motto: spinnen die da komplett? Bei anderen Themen, die allgemein als linkophil angesehen weren, zündest du ja gern lodernde Feuer. Wer weiß, irgendwann wirst du vielleicht mal so ne di Lorenzotype - der ja seine Sturm und Drang-Zeiten in "Live aus dem Schlachthof" erlebte, falls du je davon gehört hast - wobei er da im Prinzip auch ein braves Schaf war.

     

    Manche genießen dann irgendwann ihren Cappuccino und den dicken Benz, frei nach Adenauers Motto: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Manch einen eben nur solange, solange es ihm nutzt. Beim ein oder anderen vermisse ich die Authentizität mein Junge.

     

    Überhaupt wirkt die Taz auf mich immer mehr wie ein Revoluzzer-Opa, der aufgrund seines fetten Ranzens seine Schnürsenkel nicht mehr sehen kann und damit begründet, ohne Schuhe nicht nach draußen gehen zu können - ich kenne noch andere Taz Zeiten. Wie kann die Entwicklung in der Türkei über Jahre an euch so vorbei gegangen sein?