Kommentar Protest in Frankreich: Mit dem Rücken zur Wand
Die Staatsführung will trotz anhaltender Massenproteste über nichts mehr verhandeln und bringt damit vor allem die Gewerkschaften CFDT und CGT in Zugzwang.
T ous ensemble, tous ensemble - grève générale!" Das ist heute der populärste Slogan bei den Demonstrationen gegen den Rentenklau in Frankreich. "Alle zusammen" und vereint sind sie noch, wie der Sprechchor es wünscht. Doch vor einem Generalstreik, der zu einer politischen Kraftprobe auf der Straße werden kann, schrecken die meisten Gewerkschaftsführer noch zurück. Die Staatsführung, die trotz anhaltender Massenproteste schlicht über nichts mehr verhandeln will, bringt sie aber in Zugzwang.
Vor allem der sonst so gemäßigte CFDT-Gewerkschaftsboss François Chérèque ist wütend, weil er jetzt mit dem Rücken zur Wand steht. Er macht bereits die Regierung für eine Eskalation verantwortlich, die er so nicht gewollt hat. Zusammen mit seinem Kollegen von der CGT, Bernard Thibault, hatte er der Staatsführung die Hand zu einem Deal ausgestreckt. Die CGT und die CFDT haben von Beginn an nicht einen Rückzug der Vorlage verlangt, sondern nur Verhandlungen über Konzessionen. Die unnachgiebige Haltung von Präsident Sarkozy, der in Thatcher-Manier mit einem historischen Sieg über die Arbeiterbewegung jeden weiteren Widerstand gegen den Sozialabbau brechen möchte, hat die gesprächsbereiten Gewerkschafter vor ihrer Basis desavouiert.
Um ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, müssen nun Chérèque, Thibault und Kollegen mitziehen und in diesem Konflikt aufs Ganze gehen. Über die Frage, wie weit sie dabei gehen können und wollen, sind sie nicht mehr einig. Die Gegenseite, die mit dem Einsatz der Armee als Streikbrecher droht, lässt ihnen allerdings zwischen Kapitulation oder Eskalation keine große Wahl. So oder so wird der Rentenstreit, und womöglich die Zukunft des französischen Sozialmodells, längst nicht mehr im Parlament, sondern auf der Straße entschieden.
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