Kommentar Presseplätze im NSU-Prozess: Die Zufallspolitik der Tombola
Die Verlierer mosern jetzt zwar, dass auch das Losververfahren Mist sei. Doch auf jeden Fall ist es besser als das, was das Oberlandesgericht bisher geboten hat.
L osverfahren sind Mist. Das betonen nun alle Medien, die keinen festen Platz für das NSU-Verfahren bekommen haben. Niemand weiß es besser als die taz. Immerhin hatte sich taz-Redakteur Wolf Schmidt im ersten Verfahren als Allererster gemeldet und ist nun im zweiten Verfahren leider nicht ausgelost worden.
Auch die FAZ, Die Zeit und viele andere Medien, die einen sicheren Platz innehatten, wurden jetzt nicht aus dem Loskorb gezogen. C’est la vie.
Trotz allem und trotz des Lospechs muss man das neue Verfahren als besser als das alte bezeichnen. Denn so wurde über feste Kontingente sichergestellt, dass auch türkische Medien sicher vom Prozess berichten können – bei acht türkischen Mordopfern eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
So hätte das Oberlandesgericht (OLG) München gleich verfahren müssen, dann wären dem Gericht und den Medien viel Ärger und Aufregung erspart geblieben.
ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
Auch das jetzt vorgesehene Modell der nachträglichen Poolbildung ist ein Fortschritt. Medien können sich zusammentun und einen Platz teilen.
So wird das ausgeloste SZ-Magazin sicher der mütterlichen Süddeutschen Zeitung seinen Platz überlassen. Und auch die FAZ, Die Zeit und die taz werden bis zum Prozessbeginn am 6. Mai hoffentlich noch eine Lösung finden.
Nachträgliche Klagen ohne Chance
Dass bei der Wiederholung der Akkreditierung viel mehr Medien als zuvor einen Antrag stellen, war abzusehen. Deshalb wäre auch eine erneute Vergabe nach dem Windhundverfahren, also nach der Reihenfolge der Antragsstellung, ein Glücksspiel geworden.
Dann hätten Zehntelsekunden über die Platzierung entschieden. Wäre das wirklich besser gewesen?
Nachträgliche Klagen gegen die jetzt durchgeführte Platzvergabe haben kaum eine Chance. Das Bundesverfassungsgericht hat eine völlig neue Akkreditierungsrunde für zulässig erklärt. Diese Option hat das Oberlandesgericht gewählt. Karlsruhe wird nun sicher nicht erklären, dass es sich Anfang April geirrt hat.
Aus dem gleichen Grund sind die Hoffnungen gering, jetzt auf dem Klageweg noch eine Verlegung des Prozesses in einen größeren Saal durchzusetzen – oder die Videoübertragung in einen zweiten Raum.
Karlsruhe hat Anfang April ein außen- und integrationspolitisches Desaster vermieden, indem es eine Beteiligung von türkischen Medien erzwang. Diese Korrektur war nötig. Alles andere wird sich schon zurechtrütteln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana