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Nebenkläger zum NSU-Prozess„Das Vertrauen ist schwer angegriffen“

Die Erwartungen der Opfer-Familien im NSU-Prozess sind hoch: Die Nebenkläger wollen, dass behördliches Versagen und die Unterstützer thematisiert werden.

Ismail Yozgat und seine Frau Ayse auf einer Gedenkveranstaltung anlässlich des siebten Todestages ihres Sohnes Halit. Bild: dpa
Andreas Speit
Interview von Andreas Speit

Am 6. April 2006 wurde Halit Yozgat zum vermutlich vorletzten Opfer des NSU. Ein anwesender Mitarbeiter des Verfassungsschutzes will nichts mitbekommen haben. Nicht nur diesen Vorfall wollen die Nebenkläger der Familien im NSU-Verfahren hinterfragen.

taz: Welche Hoffnungen verbinden ihre Mandanten mit der Nebenklage?

Alexander Kienzle: Die Hoffnung der Familie Yozgat ist nicht primär an der Verurteilung oder dem konkreten Strafmaß für Frau Zschäpe oder andere Angeklagte orientiert. Für die Familie geht es darum, dass sie in einem transparenten und rechtsstaatlichen Verfahren die behördlichen Verstrickungen und Kenntnisse aufgeklärt wissen will. Die Familie selbst wurde unmittelbar nach der Tat reflexartig zum Gegenstand der Ermittlungen und musste im privatesten Bereich Transparenz für die Ermittler herstellen. Diese Transparenz erwartet sie jetzt spiegelbildlich auch von Verfassungsschutzämtern und Polizeibehörden.

Bis heute ist die Rolle eines anwesenden Verfassungsschutzmitarbeiters bei dem Mord nicht geklärt?

Das LKA versuchte seinerzeit, auch weitergehende Kenntnisse über Quellen, Verbindungen und Hintergründe des Verfassungsschützers zu erlangen. Sie stieß dabei schnell auf eine Blockade durch das Landesamt für Verfassungsschutz. Die Quellen, die der Verfassungsschützer führte, wurden kaum für Erkenntniserlangung freigegeben; insgesamt gab es keine Kooperation bei der Aufklärung der Mordstraftat. Bis auf politisch höchste Ebene im Innenministerium wurde dieses Vorgehen gedeckt.

Ist dieses „Nicht-Aufklären-Wollen“ für ihren Mandanten nicht ernüchternd?

Das Vertrauen in die Institutionen dieses Rechtsstaats ist schwer angegriffen. Auch deshalb ist die Hoffnung der Familie, dass jetzt das Strafverfahren Transparenz schafft. Gerichte sind – der Gesetzestheorie nach – nicht politisch gebunden.

Die Familie selbst fragte bei den Ermittlern nach, ob nicht rassistische Tatmotive berücksichtigt werden müssten?

Ja, die Ermittler wandten sich dennoch trotz fehlender Anhaltspunkte sofort dem Umfeld der Familie zu, es wurden Telefone abgehört, Finanzermittlungen vorgenommen, so genannte Umfeldermittlungen durchgeführt. Statt der Familie das Gefühl zu geben, den oder die Mörder ihres Sohnes und Bruders zu suchen, sahen sich die Mandanten selbst kriminalisiert. Ermittlungshypothesen waren – ausgesprochen oder unausgesprochen – mafiöse Strukturen, Betäubungsmittelkriminalität, Schutzgeld. Dies alles bar jeder Fakten. Daran änderte sich auch nichts, als Herr Yozgat die Ermittler darauf aufmerksam machte, dass nach seiner Ansicht nur ein fremdenfeindliches Motiv für die Straftat in Betracht komme.

Die Erwartung an das Verfahren ist von den Angehörigen der NSU-Opfer sehr hoch. Die Zeugenliste legte jedoch nahe, das bestimmte Fragen wie zu den Unterstützern gar nicht erst beantwortet werden könnte?

Das Gericht will das Verfahren wie ein gewöhnliches Schwurgerichtsverfahren durchführen und sich dabei auf das unmittelbare Tatumfeld beschränken möchte. Es soll einzig die Anklage nachvollzogen und an der Ermittlung der einzelnen Straftat und deren unmittelbarer Zuordnung die Grenze gezogen werden. Die eigentliche Dimension – Unterstützer, behördliche Verstrickungen und Kenntnisse – soll keine Rolle spielen. Die Mandanten sind sich auch dieser Gefahr bewusst. Sie wissen aber auch um Sinn und Zweck der Nebenklage in einem solchen Verfahren, die solche Aspekte thematisieren kann.

Ein Strafverfahren ist kein Untersuchungsausschuss. Könnte es passieren, dass den Verstrickungen des Verfassungsschutzes nicht nachgegangen werden , da sie nicht prozessrelevant sind?

Nach unserer Überzeugung wird sich die Straftatserie nicht aufklären lassen, ohne die weiteren Aspekte aufzuklären. Ein Beispiel: Eine Vielzahl behördlicher Kenntnisse und Kontakte zusammengenommen hätten ggf. ausreichen können, um die Serie deutlich früher aufzuklären und damit zu stoppen. Ein derartiges behördliches Mitverschulden müsste dann auch in dem Verfahren gegen die konkreten Angeklagten eine Rolle spielen. Nur so lässt sich die individuelle Schuld korrekt bemessen.

Sie meinen, dass wenn Geheimdienste und Polizeibehörden frühe Erkenntnisse nicht nutzen um das Trio zu stoppen, sie mit verantwortlich wären für die weiteren Morden wie an Yozgat?

Das ist genau der Punkt. Sollte sich herausstellen, dass das Trio und deren Unterstützer nur wegen behördlichen Versagens dauerhaft unerkannt bleiben konnten, wäre dies auch in dem Münchner Verfahren von herausragender Bedeutung.

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14 Kommentare

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  • P
    paul

    zuallererst..eigentlich gehts um b e w e i s e..ob das verhalten vor allem der presse dem staat respektive der zukunft dienlich ist wage ich zu bezweifeln.. wie war das nochmal???!...bis zum beweis des gegenteils hat der/die beschuldigte als unschuldig zu gelten..

  • 3J
    3000 Jahre Analysis

    Das Vertrauen ist schwer angegriffen.

     

    ich frage mich nur von welchem Vertrauen hier die Rede sein soll. Dass es in Deutschland soweit gekommen ist, war nur eine Frage der Zeit … mehr oder weniger, bis die alten Nazifüchse das Zeitige segneten. Der Unterschied ist, dass die alten Nazifüchse – um es mit einem italienischen Sprichwort zu umschreiben (nach dem sie sich ihren Schwanz verbrannt hatten) mit einem Schwanz aus Stroh herumliefen. Bekanntlich brennt Stroh sehr schnell – also waren sie vorsichtig. Nun endlich tritt die ganze deutsche Heuchelei zutage, für die unsere türkischen und islamischen Mitbürger nie zu haben waren und sind. Aufschlussreich wäre hier zu klären, inwieweit Heuchelei zum Charakter der angestammten deutschen Bevölkerung gehört und wenn das so wäre,

    Zuletzt stellt sich die Frage, auf was Heuchelei beruht. Ist Heuchelei das Resultat eines falsch aufgeklärten Bewusstseins? Oder entsteht Heuchelei vielmehr aus der Unterdrückung von Emotionen. Also von welchem Vertrauen soll hier die Rede sein? Hat es unter den Menschen in Deutschland jemals Vertrauen gegeben? Wenn Sie mich fragen, NEIN.

  • H
    Herbert

    eksom:

    Bei dem Prozess geht darum, über die Schuld der Angeklagten zu befinden und ein Urteil zu sprechen auf der Basis unserer Gesetze- NUR darum geht es beim Prozess. Das sind die Prinzipien unseres Rechtsstaates und das unterscheidet uns von Ländern, die keine Rechtsstaaten sind.

    Politische Aufarbeitungen etc gehören in die Politik und haben im Gerichtssaal nichts zu suchen.

     

    Der Staat, unsere Geschichte, Herr Sarrazin stehen in München nicht zur Anklage.

    Bei Sarrazin sind sie nicht auf dem Laufenden: seine Kernaussagen zur Integration und Zuwanderung etc. konnte bisher nicht widerlegt werden- das haben auch linke Autoren nun eingestehen müssen. Die Versuche, ihn zu "widerlegen" hat man wohl längst aufgegeben.

  • B
    bernhard

    Glasklare Logik. Das Wort „Verstrickung“ ist gefallen. Trotzdem endet das Interview mit einem versöhnlichen „Versagen“. Es war kein Versagen, es war – und ist – eine Verstrickung der Behörden. Es darf keine Versöhnung geben, bevor die Verstrickung anerkannt wird. Auch die „höchste Ebene im Innenministerium“ muss beim Namen genannt werden: Sie heisst Friedrich. Ich hoffe, die Nebenkläger bleiben bei einer kompromisslosen Sprache. Nur so kann die Ekel erregende, gegenseitige Deckung der Mit-Schuldigen aufgebrochen werden.

  • E
    Empoerungsreflex

    Etwas mehr Zurückhaltung täte den sog. Nebenklägern ganz gut.

    Mich nervt dieses naiv-aggressive Fordern in osmanischer Tradition bereits jetzt.

     

    Von Rechtsstaatlichkeit keine Ahnung- noch immer trotz Jahrzehnte langem Aufenthalt;

    aber das System der BRD verurteilt sehen wollen.

     

    Schließlich zeigt man gerne mit dem Finger auf andere. Mich würde ja die Steuererklärungen der Opfer interessieren, wenn es denn welche gegeben hat.

     

    Aber das ist das Problem der Mitgliedschaft in jener Immigrantengruppe, die sich nicht integriert und durch Gewalt, Straftaten und Parallelgesellschaften tagtäglich von sich reden macht.

    Da leidet dann im Ernstfall die Glaubwürdigkeit.

  • BF
    ball flach

    Die Gefühle der Opferangehörigen sind zu respektieren.

    Für alle anderen gilt: Hysterie ist unangebracht.

    Es handelt sich um einen rechtsstaatlichen Strafprozess und keinen politischen Schauprozess und schon gar nicht um eine Gaudi für Journalisten.

  • S
    Sarah

    Warum setzte WDR 5 einen Beitrag über den NSU-Ausschuss ab und warum wurde die Reportage bis heute nicht gesendet ?

     

    http://www.freitag.de/autoren/gsfrb/wdr-setzt-beitrag-ueber-nsu-ausschuss-ab

  • C
    claudia

    von eksom:

    Die Rolle des deutschen Verfassungsschutzes in Sachen NSU, Ganz einfach erklärt für jeden "Deppen"!

     

    Wer solchen Kommentar abgibt, kann sich das nette Wort selbst ganz groß auf die Stirn schreiben.

  • A
    Ann

    Christen sollten mal anfangen in der Türkei zu fördern, dort ist Diskriminierung von Christen an der Tagesordnung. Bei uns geht es noch nach Gestzen zu und nicht nach Willkür! ordern akann man nicht mehr lesen, es provoziert.

  • K
    Klarsteller

    Aufgabe des Gerichts ist es, über Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu befinden.

    Staatlich Organe sind meines Wissens nicht angeklagt.

  • E
    eksom

    In einer Mehrheitsgesellschaft, dessen 81% der Mitglieder die Thesen von Sarrazin für gut und richtig befinden, sogar die SPD trotz der Rüge und der Abmahnung durch die UN den Herr Rassisten Sarrazin noch unter sich dulden, die Regierung sich nur bei der UN für die NSU-Morde und die rassistischen Thesen von Sarrazin entschuldigt, sollen die Migranten/Innen noch nach dem OLG-Debakel in München an die deutsche Justiz glauben und vertrauen? Für wie dumm hält Ihr eigentlich all die Anderen und für wie ausgekocht glaubt ihr halten zu können?

  • E
    eksom

    Die Rolle des deutschen Verfassungsschutzes in Sachen NSU - http://www.youtube.com/watch?v=Gx2ZdlBDwEk

    Ganz einfach erklärt für jeden "Deppen"!

  • K
    Karl

    Und ich, sehr geehrte Frau Speit, erwarte das nicht ohne Definition und Nachweis das Wort "Versagen" benutzt wird!

     

    "Versagen", "Duldung" oder gar "tätige Unterlasung" sind ganz unterschiedliche Hausnummern!

     

    Wer voreilig das große Wort vom "Versagen" führt, ohne die Resultate der Verhandlung abzuwarten macht sich lächerlich und setzt sich dem Verdacht aus eine gezielte Einflussnahme staatlicher Seite (gewiss nicht durch alle Organe und Institutionen, aber doch Teile davon)durch "Versagen" hinweg erklären zu wollen.

     

    Allein der Verdacht auf Strukturelemente eines "tiefen Staates" zwingt zu peinlichster Genauigkeit und revolutionärer Diziplin in der Sachverhaltswürdigung und Beschreibung!

     

    Glück auf !

     

    Karl

  • MB
    Marion Böker

    Ist nicht das Vertrauen aller hier lebenden Menschen in den Rechtsstaat und Justiz, die Ermittlungsinstanzen und die kontrollierende Instanz des Bundestages, in die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte erschüttert? Wie weit hier die nicht legitimen, verfassungsfeindlichen Aktivitäten, Netzwerke, Verbrechen und rassistischen wie menschenverachtenden Aufassungen der Nazis in dritter Generation gedeckt, aufgewertet, unterstützt, mitfinanziert und verharmlos sowie gegen unsere MItmenschen gerichtet wurden!