Kommentar Präsidentschaftswahl: Der französische Herkules
Der Ausgang dieser Präsidentschaftswahl ist eine gute Nachricht – auch für ganz Europa. Doch auf Emmanuel Macron warten schwere Aufgaben.
D er deutliche Wahlsieg von Emmanuel Macron ist eine enorme Erleichterung für Frankreich. Die drohende Katastrophe einer Machteroberung durch eine aggressive und demagogische Rechtspopulistin ist gebannt. Zuversicht und Hoffnung haben über den Pessimismus und die systematische Miesmacherei gesiegt. Das ist ein ermutigendes Zeichen für die Demokratie und das Urteilsvermögen der Wahlberechtigten.
Eine gute Nachricht ist der Ausgang dieser Präsidentschaftswahlen auch für ganz Europa. In den meisten Staaten nähren sich rechtspopulistische Bewegungen mit ihren mehr oder weniger deutlichen Anleihen beim Faschismus der Vorkriegszeit von der politischen, moralischen und wirtschaftlichen Krise und der Ineffizienz der existierenden Institutionen. Ein Sieg des Front National in Frankreich hätte der extremen Rechten in mehreren Ländern des Kontinents als Fanal gedient und der EU einen tödlichen Stoß versetzt.
In dieses Aufatmen der ersten Stunde mischt sich freilich schon die Sorge. Der neue Präsident ist von einer Mehrheit seiner Landsleute nur als „kleineres Übel“ und als einzige Alternative zu Marine Le Pen gewählt worden. Das war im existierenden Wahlsystem nicht anders möglich. Das Ergebnis täuscht dennoch über eine reelle Schwäche hinweg. Macron wird die ganze jugendliche Energie, die er ausstrahlt, brauchen können, um die Herkulesaufgaben anzupacken, die ihn als Nachfolger von François Hollande erwarten. Fairerweise müssten ihm dann auch alle, die ihn nur halbherzig mit ihrer Stimme gegen Le Pen unterstützt haben, eine Startchance geben.
Wer indes aus Erfahrung weiß, wie schnell sich in Frankreich unterschiedliche oder gegensätzliche Interessen zu hartnäckigem Widerstand zusammenballen, muss auch vor schnellen Desillusionierungen warnen. Vorsicht vor politischer Naivität ist auch von links angebracht. Niemand wird sich beim „linksliberalen“ Präsidenten zur Verteidigung sozialer Rechte auf die Wahlen berufen können oder wollen.
Zum Schutz gegen ungerechte neoliberale Abbaupläne bleibt die Mobilisierung der Betroffenen die einzige Alternative. Im Unterschied zur drohenden Repression in einem autoritären FN-Regime haben sie mit Macron dazu die nötige Freiheit. Sie sollten sie auch nutzen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Russland und USA beharren auf Kriegsschuld des Westens