Kommentar Präsidentschaftswahl Brasilien: Die erzkonservativen Medien
Marina Silva war Liebling der Medien, gegen Dilma Rousseff wurde Stimmung gemacht. Gewonnen hat die Chefin der Arbeiterpartei dennoch – vorerst.
E igentlich war der Wahlsieg von Dilma Rousseff seit langem abzusehen: Die Sozialpolitik ihrer Arbeiterpartei PT kommt bei der Mehrheit an. Dem Land geht es gut, politisch und wirtschaftlich.
Die Medien aber zeichneten ein völliges anderes Bild. Dort wurde nicht nur eine dramatische Wirtschaftskrise herbeigeschrieben, sondern auch gleich eine Retterin präsentiert: Marina Silva, die ehemalige Umweltministerin aus armem Hause. Nur sie könne der offensichtlich verantwortungslosen Rousseff-Regierung eine „neue Politik“ entgegensetzen, hieß es. Silva sei die Kandidatin des Wandels – der Veränderungen, die die Massendemonstrationen im Juni 2013 gefordert hätten. In Umfragen lag sie zeitweise deutlich vor Rousseff.
Am Wahlabend selbst aber zeigte sich, dass Silva vor allem der Liebling der Medien war. Sie bekam gerade mal gut 20 Prozent der Stimmen, ein wenig mehr als 2010.
Als der eigentliche Oppositions-Kandidat Neves von der konservativen und wirtschaftsorientierten PSDB in den Umfragen endlich zulegte, waren Silva und ihr angebliches Projekt des Wandels nicht mehr nötig. Lieber gleich Neves wählen, so die Devise, damit der stärkste Kandidat in die Stichwahl kommt. Das ist nun der Fall: In drei Wochen tritt Rousseff gegen Neves an. Schon wird gefragt, wo denn angesichts der erneuten Stichwahl zwischen PT und der konservativen PSDB der Wille zum Wandel der Brasilianer geblieben ist?
Auch hier haben die Medien für Verwirrung gesorgt: Sie machten aus den vielfältigen Forderungen der Demonstranten den einseitigen Wunsch nach Wandel, also der Abwahl von Rousseff. Stets ging es in den durchweg konservativen Privatmedien nur darum, Stimmung gegen den Status Quo zu machen.
Marina Silva ist zwar auf der Strecke geblieben, dennoch war die Stimmungsmache nicht umsonst. Die Angst vor wirtschaftlichen Einbußen, wirkliche und angebliche Korruptionsskandale sowie Abnutzungserscheinungen in der Regierung machen Rousseff zu schaffen. Und so ist diese Stichwahl durchaus eine Gefahr für die PT.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste