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Kommentar Pflegebericht der KassenSparen ist Gift

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Der Pflegeschlüssel und die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind katastrophal. Die Groko muss klären, wie sich das ändern soll.

Hier üben die Pfleger von morgen Foto: dpa

E s gibt wohl kein Thema, bei dem Politiker so viel Angst vor der Wahrheit haben wie beim Pflegethema. Da wird jetzt mit den Plänen von Union und SPD Handlungsfähigkeit suggeriert, aber die Wirklichkeit verleugnet. Sie sieht so aus: In der Pflege lässt sich in Deutschland nur dann was verändern, wenn wir alle mehr Geld dafür bezahlen – ob als Beitrags- oder als Steuerzahler.

In Finnland und den Niederlanden werden 4 Prozent und mehr des Bruttoinlandsprodukts für die Langzeitpflege ausgegeben, in Deutschland hingegen nur 1,6 Prozent. Eins der reichsten EU-Länder knausert bei den Gebrechlichen und Dementen. Das ist die Wirklichkeit, und da nützt es nichts, ständig Empörungsdiskurse über den „Pflegenotstand“ zu führen, die keine praktischen Folgen haben. Mehr Geld ist nötig, um die Personalausstattung in den Heimen und damit die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten und die Lebensbedingungen für die Bewohner zu verbessern.

Das Aushandeln der Pflegeschlüssel ist ein Deal hinter verschlossenen Türen: Die Sozialbehörden, die Pflegekassen und die Heimbetreiber sitzen mit am Tisch. Alle wollen sparen: Die Sozialbehörden wollen keine bessere Personalausstattung, denn dann kommen auf die Sozialämter höhere Kosten für ärmere Pflegebedürftige zu. Die Pflegekassen möchten nicht mehr Geld fürs Personal aufwenden. Die Heimbetreiber wollen die Kosten niedrig halten. Die Angehörigen, auch das muss gesagt sein, möchten möglichst geringe Eigenanteile zahlen.

So kommt es zu Personalschlüsseln, die auch von gemeinnützigen Heimbetreibern abgenickt werden und in der Nacht Besetzungen vorsehen, wo eine Pflegekraft für 40 oder 50 BewohnerInnen zuständig ist. Das kann ein Albtraum sein. Es kommt zu Arbeitsbedingungen, die so verschleißend sind, dass die Heime nur noch 30-Stunden-Stellen vergeben. Das spart im Krankheitsfall an Lohnfortzahlung und ermöglicht flexibleren Einsatz. Niedriger Verdienst und später niedrige Renten sind die Folgen für die PflegerInnen.

Will die künftige Große Koalition glaubwürdig sein, muss sie möglichst rasch und konkret sagen, wie die Personalausstattung in der Pflege verbessert und vor allem wie und von wem das finanziert werden soll. Es reicht nicht, irgendwas für die weitere Zukunft zu versprechen. Andernfalls wird eine Regierung bei diesem Kernthema nicht ernst genommen. Und das ist Gift.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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8 Kommentare

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  • Ein Heimplatz mit Pflegestufe kostet mehrere Tausend Euro pro Monat. Dafür logiert die betroffene Person in einem winzigen Zimmerchen oder sogar in einem Mehrbettzimmer. Sie erhält ihr (bescheidenes) Essen und die nötigsten Putzarbeiten. Und Pflege - meist mehr schlecht als recht. Schnellversorgung im Minutentakt. Eben auch nur das Allernötigste und oft nicht mal das. Die wenigen eingestellten Pflegekräfte werden furchtbar schlecht bezahlt und permanent überlastet. --

     

    Wo bleibt dann aber das ganze Geld? Wohin fließen die paar Tausend Euro? Das hat sich noch niemand getraut zu hinterfragen. Die Pflegeindustrie muss eine sehr gut vernetzte Lobby haben.

  • Es gibt Wege und Möglichkeiten, wie man mehr Geld für Pflege findet, ohne Beitrags- oder Steuerzahler zusätzlich zu belasten. Man kann zum Beispiel prüfen, ob die Abrechnungen nicht absichtlich dem Wert nach höher angesetzt wurden.

     

    Seit Oktober 2016 sind Abrechnungsprüfungen verpflichtender Bestandteil der jährlichen Qualitätsprüfung von ambulanten Pflegediensten. Im 5. Pflege-Qualitätsbericht wurden dazu die Daten aus 1.138 Prüfungen ausgewertet. Dabei überprüften die MDK-Mitarbeiter die in Rechnung gestellten Leistungen bei 6.079 Pflegebedürftigen. Bei 35,2 Prozent der geprüften Pflegedienste stellten die MDK-Prüfer mindestens eine Auffälligkeit fest. 64,8 Prozent der Pflegedienste wiesen keine Auffälligkeiten auf.

    https://www.mds-ev.de/presse/pressemitteilungen/neueste-pressemitteilungen/2018-02-01.html

     

    Man könnte auch prüfen ob die Ausgaben der Pflegekassen einschl. Zahlungen an die Krankenkassen der Art und der Höhe nach gerechtfertigt und sozial sind. Durchaus ist es möglich, dass es auch im Pflegebereich (nicht nur in der Medizin) Menschen gibt, die an diesem „Geschäft“ - nicht wirklich legitim - Millionen verdienten. Beziehungen verhelfen zu Millionen auch in sozialen Bereichen!

  • Ab einem bestimmten Haushaltseinkommen (100-200 Tsd. EUR) p.a. haben Menschen keine Probleme mit der Pflege und sind an Veränderungen nicht wirklich interessiert. Sie können es sich und deren Angehörigen leisten, sehr gute Pflege einzukaufen. Genau wie bei Mieten, abhängig vom Gehalt, geht es nicht darum „kann ich mir meine Wohnung noch leisten? Die Miete ist zu hoch…“. Es geht um PRESTIGE d.h. „Ich kann mir so eine teurere Wohnung leisten, bin stolz darauf und pralle damit.“

    • @Stefan Mustermann:

      Aus Ihnen spricht Unkenntnis, mathematische Agnosie und großer Sozialneid.

       

      Mit 100.000 bis 200.000 im Jahr entgehen Sie als Familie lediglich der ansonsten zwangsläufigen Altersarmut.

  • Wie schon in der Medizin allgemein gab es auch in der Pflege speziell falsche Entwicklungen, die politisch hervorgebracht wurden.

    https://visite.linksfraktion.de/

    https://www.linksfraktion.de/themen/positionspapiere/detail/pflegestaerkungsgesetze-zementieren-zwei-klassen-pflege/

     

    Jeder Mensch hat ein Recht auf qualitativ hochwertige Pflege und liebevollen Umgang, wenn er bedürftig ist. Durch die Einführung der Pflegestufen vor mehr als 10 Jahren wurde in Deutschland genau dieses System installiert, das jedem Pflegebedürftigen eine pflegerische Grundversorgung verspricht.

     

    Doch sind wir einmal ehrlich: Qualitativ hochwertige Pflege – zudem noch liebevoll und legal – wie soll das in 20-30 Minuten funktionieren? Wer also eine wirklich umsorgende und gute Pflege benötigt, muss in der Lage sein, sich weitere Zeit oder Pflegeleistung hinzuzukaufen. Selbstverständlich aus eigener Tasche. Und wer kann das schon? Stehen bei den Renten 300 oder 500 weitere Euro zur Verfügung um diesen Zusatz pro Monat auch einkaufen zu können?

     

    Interessant ist aber: In anderen Branchen ist ein Zwei- oder mehrere-Klassen-System der Services selbstverständlich und vollkommen akzeptiert. Wer in ein Flugzeug steigt, kann Economy, Business oder First Class fliegen. In einem Hotel können wir unter 5 Qualitäts-Services (Sternen) wählen und Kreditkartenanbieter unterscheiden ihre Services mit verschiedenen Kreditkartenfarben. Jeder kennt das System und jeder weiß, dass es für weniger Geld auch weniger Leistung gibt.

     

    Es stellt sich nun also die Frage, ob es dieses Spektrum in der Pflege auch geben darf. Oder ist es nicht vielmehr so, dass es dies in der Pflegeversorgung bereits gibt? Es existieren Altenheime der Wohlfahrtsverbände oder der städtischen Träger. Und es gibt die Premium-Service-Wohn-Landschaft meist privater Träger mit breitgefächerten Angeboten und individuellen Services.

    https://www.therapon24.de/zwei-klassen-pflege-und-wie-der-patient-zum-kunden-wird/

    • @Stefan Mustermann:

      Die von Ihnen genannten anderen Branchen sind freiwilliger Art. Da unbekannt ist, ob man je Pflege in welchem Umfang braucht, gibt es eine Pflegeversicherung. Dies ist ja auch der generelle Sinn einer Versicherung, Unwägbarkeiten von Einzelnen durch eine Solidargemeinschaft abzusichern.

  • Endlich mal ein Kommentar, der ohne billige Empörung auskommt. Am Beispiel der Pflege kann schön gezeigt werde, dass alle sparen wollen. Geiz ist geil.

    Die Rituale in den Pflegesatzverhandlungen sollen verhindern, dass einer der Beteiligten den großen Schnitt für sich machen kann.

     

    Einfach mehr Geld bedeutet in der Privatwirtschaft erstmal nur mehr Gewinn.

  • Ach? Wo waren den die Berichte während der Wahlkampf, über das was konkret die Parteien verbessern wollen?

    Seit Jahren wurden diese Zustände geschaffen über Streiks kaum berichtet und die Politik mit ihren Phrasen laufen gelassen.

     

    Ehrlich, das waren nicht wichtigen Themen, auch nicht in der taz.

     

    Über diese Themen schreibt Albrecht Müller auf den Nachdenkseiten immer wieder. Aber wichtiger ist es ihm Verschwörungstheorien zu unterstellen. Zugeben das er die richtigen Themen hat dazu fehlt euch der Mumm.