Kommentar Peer Steinbrück: Dumm, aber ehrlich
Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück fordert mehr Geld für das Amt als Kanzler. Das ist keine sensible und keine schlaue Aussage, aber eine authentische.
W ir, die Wähler, müssen uns mal entscheiden: Schreien wir auf, wenn Politiker lügen. Oder erregen wir uns, wenn sie die Wahrheit sagen.
Peer Steinbrück hat die Wahrheit gesagt – beziehungsweise das, was er für die Wahrheit hält: Der deutsche Bundeskanzler verdiene zu wenig. „Nahezu jeder Sparkassendirektor in Nordrhein-Westfalen verdient mehr als die Kanzlerin“, sagt Steinbrück in einem Interview mit der FAZ.
Seine Aussage ist nicht sonderlich klug – Steinbrücks Wahlkampfstrategen haben keine leichten Tage. Und sie ist nicht sonderlich sensibel – vor allem jenen Wählern gegenüber, die nur knapp von dem leben können, was sie für ihre Arbeit bekommen. Aber sie ist ehrlich – und mutig.
Die Frage, wie viel Politiker verdienen dürfen, ist in Deutschland teilweise tabuisiert und mit Ängsten besetzt. Jeder prominente Politiker, der mehr fordert, riskiert Schlagzeilen wie diese: „Mehr Knete für Merkel, Wulff & Co.“ (Bild)
Peer Steinbrück hat, beiläufig oder wissentlich, diese Gefahr ignoriert. Dass auf seine Forderung keine ernsthafte Debatte folgt, sondern eine Empörungsorgie, ist nicht seine Schuld, sondern unsere: die der Wähler, die der Medien. Die Wähler verachten in großen Teilen die Berufspolitik; ein Affekt, der an den Rändern der Gesellschaft sitzt und mittendrin. Und die Medien profitieren von dieser Empörung.
Der politische Diskurs wird nicht besser, wenn wir dauerhaft jene belohnen, die aus strategischen Gründen und Gemütlichkeit darauf verzichten, unpopuläre Dinge zu sagen. Dann gibt es nur noch Angela Merkel. Sie ist populär – warum eigentlich? Vielleicht gerade weil sie uns nicht mit markanten Zitaten erschreckt wie Peer Steinbrück. Die Bundeskanzlerin hat diese Demokratie erfolgreich eingeschläfert.
Ausgerechnet Gerhard Schröder, den es nach seiner Kanzlerschaft in die Arme des russischen Diktators Putin trieb, in einen gut bezahlten Posten bei der Gazprom-Tochter Nord Stream, gibt jetzt Finanztipps. Politiker seien in Deutschland angemessen bezahlt, sagt Schröder. Und wem es nicht genüge, der könne sich ja um einen anderen Beruf bemühen.
Man kann daraus schließen: Eine gute Bezahlung sollte es möglichst vielen Politikern ermöglichen, nicht so zu enden. wie Gerhard Schröder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen