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Kommentar Parteitag der GrünenAngebot für Altruisten

Ulrike Winkelmann
Kommentar von Ulrike Winkelmann

Vermutlich wollen die Grünen nicht nur den Gemeinsinn ihrer Wähler strapazieren. Sie dürften auch auf die eigene politstrategische Intelligenz setzen.

Mittlerweile absolute Politprofis: die Grünen Bild: dpa

D as muss man den Grünen lassen: Sie sind die einzige Partei, die damit wirbt, dass sie ihren eigenen Wählern Geld abzunehmen gedenkt. Respekt. Grünen-WählerInnen sind tendenziell gut ausgebildet und verdienen entsprechend. Ob sie auch gern abgeben, das wollen die Grünen mit ihrer neuen Steuer- und Sozialpolitik testen.

Das Wahlprogramm, das sich die Partei auf ihrem Parteitag am Wochenende geben wird, lässt Belastungen für Haushalte ab rund 60.000 Euro im Jahr aufwärts erkennen – wobei diese Zahl je nach Familienstand et cetera stark schwankt.

Möglicherweise aber wollen die Grünen nicht nur Rechenfähigkeit und Gemeinsinn ihrer WählerInnen strapazieren. Vermutlich setzen sie auch auf ihre politstrategische Intelligenz. Demnach müsste allen Grüngeneigten bald auffallen, dass sich ihre Partei, sofern nach der Bundestagswahl im September an einer Regierung überhaupt beteiligt, sicher nicht an der steuer- und auch nicht an der sozialpolitischen Front abkämpfen wird. Es ist viel eher wahrscheinlich, dass die Grünen die Ministerien mit Umverteilungskompetenz erneut dem größeren Koalitionspartner (SPD oder CDU) überlassen.

Bild: privat
ULRIKE WINKELMANN

ist Co-Ressortleiterin der Inlandsredaktion der taz.

Das innere Kalkül des Grünenprogramms lautet demnach: Fühlt euch geschmeichelt, dass wir euch für so altruistisch halten. Aber bleibt ganz ruhig: So dicke kommt es dann wohl doch nicht.

Dies zeigt jedenfalls der Blick zurück. Die Grünen haben aus den Jahren 1998 bis 2005 mit der SPD manches gelernt. Erstens verlangt kein Mensch von ihnen ernsthafte Sozialpolitik. Deshalb wird zweitens, wenn etwas schiefläuft, der Koalitionspartner haftbar gemacht. Das bedeutet drittens, dass sie im Zweifel sogar eine Koalition mit der Union im Bund überleben würden. Diese Koalition wird zwar ausdrücklich nicht angestrebt. Es schadet aber nichts, die WählerInnen ab und zu spüren zu lassen, dass sich grüne Gerechtigkeitsvorstellungen zur Not auch mit einer Angela Merkel durchbuchstabieren ließen.

Der wahre Preis grüner Steuer- und Sozialpolitik ist noch unbekannt. Die Erfahrung lässt vermuten, dass den Grünen die Solarpaneele auf den Dächern wichtiger sind als die Hartz-IV-Bezüge. Vielleicht wollen sie es dieses Mal wirklich anders machen. Die Stimmen der Besserverdienenden werden sie auch erhalten. Denn die vertrauen darauf, dass es eh nicht so kommen wird.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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7 Kommentare

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  • M
    MissStringer

    Ich > 60 Tsd wähle sie nicht (mehr!!), denn höhere Steuern ist nur eines der Pläne, ferner höhere Kapitalertragssteuer, höhere Beitragsbemessungsgrenzen für KV, 0,5 Prozent mehr Pflegeversicherung für AN!...wenn das so weitergeht bleibt mir nach Abzug aller Kosten (wohne in einer "sauteuren" Unistadt, wo man sich auch mit dem Gehalt kaum noch Wohnungen in annehmbaren Wohnvierteln leisten kann) kaum noch was zum Leben, und von reich kann ich (als Alleinverdiener mit LS I) trotz der brutto so wohlig klingenden Summe nun wirklich nicht sprechen... es sind aktuell nämlich grad mal 2550 netto, nach Abzug von fast 1100 € Miete inkl. NK und Kosten für Auto inkl. Fahrtkosten zur Arbeit von ca. 400 € (Anschaffung nicht eingerechnet!!!) bleiben noch 1050 € für Lebensmittel, Kleidung, Anschaffungen Urlaub, Zusatzkosten Gesundheit und Sparen.. nicht grad die Welt, es reicht aber max. für einen Urlaub/Jahr und für ganz "normale" Einkäufe bei Rewe & CO.. für "grüne" Bio-Produkte bspw. schon nicht mehr!!

    Aber was mich noch mehr ärgert, dass es - trotz aktuell guter Steuereinnahmen - erhöht werden soll und vermutlich nicht zum Aufbau maroder Schulen, Straßen etc. sondern nur zum Schuldenabbau und zur Sanierung des wirtschaftlichen Fehlverhaltens unserer Regierung bzw. der anderer EU-Länder dient.. ich muss auch mit meinem Geld haushalten, plane langfristig, spare und mache keine Schulden.. das erwarte ich auch von Regierungsverantwortlichen, denen wir unser Geld anvertrauen.. und ich will weder für das was derzeit die Ursachen der EU-Pleite-Länder sind noch für die wirklich wohlhabenden Steuerhinterziehungssünder großen Formates (z. B. Herrn H.) zahlen!!! Nicht bei 60 Tsd/J und auch noch nicht bei 80 Tsd/J. Ab ca. 10000/Monat (was netto derzeit ca. 5350€ sind, was aber z.B. in München oder Hamburg auch noch nicht der Superluxus ist!!)kann man gern über 2,3 % mehr Steuern mal nachdenken..

  • B
    Besserverdienender

    @Mauermer: Tun Sie mal nicht so, als hätten Sie jemals grün gewählt. Ich, Besserverdienender mit >80000 € im Jahr wähle sie genau deswegen. Ein paar Euro weniger tun mir nicht weh, nutzen aber allen.

  • R
    Rechenexempel

    Wenn Trittin & Co richtig gerechnet haben und nur 7 Prozent der Bevölkerung stärker belastet werden hiesse das ja nach Adam Riese, dass 93 % mit einem geänderten System besser fahren, weil nicht wie bei frühren Koalitionen (Union plus SPD) die Mehrwertsteuer erhöht wird oder wie bei Rot-Grün das Rentensystem so umgebaut wird, dass künftige Rentner weniger Rente bekommen und und und.

    Die große Frage ist natürlich, ob die Grünen glaubwürdig sind. Und um das für mich zu entscheiden, möchte ich gern grüne Erklärungen zu den Reduzierungen der Einkommensteuer und zur Agenda-Politik der Rot-Grünen BT-Mehrheit hören.Die SPD drückt sich bisher vor solchen Erklärungen, aber das wird ihnen keine Wählerstimmen von Leuten mit einem guten Gedächtnis bringen.

  • K
    Kreuzberger

    @Mauermer: Ganz schlecht geschlafen, was?

    Für die demokratische Linke ist es m.E. mehr denn je evident, GRÜNE zu wählen.

    Green New Deal, Grünes Wachstum, Bunte Republik Deutschland und unser aller Haus Europa demokratisch, sozial und ökologisch weiterentwickeln - finde ich gut.

  • M
    Mauermer

    Warum sollte ein "Besserverdiener" = >= 60.000 € (Tarifgehalt in der Industrie!!!, soweit sind wir jetzt schon) ausgerechnet den Verein wählen, der ihm noch mehr in die Tasche greift? Wo ist der Unterschied zur Linken?

     

    Fest steht, die Grünen haben sich überlebt, alle ihre Themen wurden von anderen aufgegriffen, der Linksrutsch tat ein Übriges. Unwählbar. Aber Danke für den Tip, meine Stimme bekommt ihr nie wieder!

  • M
    Megestos

    "Die Stimmen der Besserverdienenden werden sie auch erhalten. Denn die vertrauen darauf, dass es eh nicht so kommen wird."

     

    Diese Ansicht finde ich ein bisschen unfair. Ist es denn so exotisch, sich vorzustellen, dass viele Grünen-Wähler_innen genuin davon überzeugt sind, dass höhere Belastungen für Besserverdienende gerecht und notwendig sind, auch wenn ihnen das nicht unmittelbar nützt?

    Das ist ja noch nicht einmal Altruismus; die Mittelschicht profitiert doch auch von sozialer Gerechtigkeit und Umverteilung. Es gibt Eigeninteressen, die über die Zahlen im Kontoauszug hinausgehen - zum Beispiel das Interesse, in einer Gesellschaft zu leben, die man für einigermaßen gerecht und menschenfreundlich hält. Das mag ja für Schlechtmenschen unverständlich sein, aber als taz-ler_in kennt man dieses Gefühl doch, oder?

  • H
    Helga

    Für taz-Verhältnisse tatsächlich mal ein brauchbarer Beitrag ohne die sonst übliche "Ihr seid doch alle rechte, und alles unter 100 % Steuersatz ist ganz dolle böser Neo-Liberalismus"-Keiferei.