Kommentar Parlamentswahl in Japan: Kein Freibrief für Abe
Bei der vorgezogenen Parlamentswahl konnte die Koalition ihre Zweidrittelmehrheit zwar verteidigen. Doch viele Wähler waren unmotiviert.
D as zynische Kalkül von Japans rechtskonservativem Regierungschef Shinzo Abe ist aufgegangen. Die Koalition aus seinen Liberaldemokraten und der Buddhisten-Partei Komeito hat bei der um zwei Jahre vorgezogenen Parlamentswahl ihre klare Zweidrittelmehrheit verteidigt. Daraus lässt sich jedoch weder ein Mandat für die riskante Wirtschaftsstrategie der Abenomics noch ein Freibrief für die geplante Abkehr von der Nachkriegsordnung ableiten.
Denn die Wähler waren gleich doppelt unmotiviert: Sie hielten die Abstimmung für überflüssig, und es fehlte ihnen jede Alternative. Von der größten Oppositionskraft, der DPJ, sind die Japaner seit ihren drei amateurhaften Regierungsjahren vor Abe schwer enttäuscht. Daher sackte die Wahlbeteiligung auf ein Rekordtief, und die Kommunisten staubten viele Proteststimmen ab.
Es gibt etwas, was Abe attraktiv macht: Erstmals seit Langem hat Japan eine stabile Regierung und dazu einen tatkräftigen Premierminister. Das haben viele Japaner vermisst. Aber inhaltlich stehen die Menschen weniger hinter Abe, als seine überwältigende Mehrheit suggeriert. So ist Umfragen zufolge die Hälfte der Bevölkerung mit der expansiven Geld- und Fiskalpolitik unzufrieden. Die Rückkehr zur Inflation über die Abwertung des Yen hat den meisten nur Preissteigerungen und damit Kaufkrafteinbußen beschert.
Die Älteren fürchten die als Heilmittel angepriesene Inflation, weil ihre Ersparnisse dabei an Wert verlieren. Die Mehrheit lehnt die langfristige Weiternutzung der Atomkraft ebenso ab wie die angekündigte Aufweichung des Pazifismus. Für einen Rechtsruck fehlt Abe der Rückhalt. Daher hat der 60-Jährige schon im Wahlkampf Kreide gefressen. Trotz des Erdrutschsiegs wird seine Politik wohl nicht so radikal ausgefallen, wie er es sich wünscht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Folgen des Koalitionsbruchs
Demokraten sind nicht doof – hoffentlich
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt