Kommentar Ordnungsdienst in München: Sicher ist sicher!
Ein CSU-Stadtrat will, dass in München bald ein bewaffneter Sicherheitsdienst patrouilliert – in der sichersten Großstadt Deutschlands.
S icherheit ist eine vertrackte Angelegenheit: Die Menschen haben ein starkes Bedürfnis danach. In Sicherheit zu sein, ist eine schöne Vorstellung: Die Gewissheit, dass alles in bester Ordnung ist. Dass nichts schief gehen wird. Wie heiße Milch mit Honig.
Keine Stadt atmet dieses Gefühl so stark wie München. G’miatlichkeit ist Münchens zweiter Vorname. Aber G’miatlichkeit ist nicht zu haben, wenn Stresshormone durch die Adern pumpen.
Also gibt es immer wieder Menschen, die versuchen, Sicherheit zu zementieren, ja sie zu mehren – obwohl fraglich ist, ob Sicherheit überhaupt ein Gut ist, das sich kumulieren lässt. Im konservativen Lager scheint die Angst am stärksten zu sein. Vor allem beim stellvertretende CSU-Vorsitzenden im Münchner Stadtrat, Michael Kuffer. Der möchte nämlich den berühmt-berüchtigten Law-and-Order-Mann Peter Gauweiler bei der Bundestagswahl 2017 in seinem Wahlkreis beerben. Gauweilers Argumentation hat sich Kuffer deshalb längst abgeguckt.
Und die geht so: In München ist es sicher, sooooo sicher. Mei, is des schee sicher in München!
Sicher ist sicher
Aber, Achtung! Das Unsicherheitsgefühl steigt. Warum, weiß kein Mensch. Vielleicht weil die MünchnerInnen keine anderen Sorgen haben? Aber die Gefühle der BürgerInnen müssen ernst genommen werden. Auch wenn sie noch so postfaktisch sind. „Wir dürfen uns nicht darauf ausruhen, dass wir zu den sichersten Großstädten gehören“, sagt Kuffer deshalb im Interview mit der Münchner Abendzeitung. Also muss man sichergehen, dass das mit der Sicherheit auch in Zukunft ganz sicher so bleibt. Sicher ist sicher.
Dafür braucht es verstärkte Maßnahmen: Kommunale Sicherheitsdienste zum Beispiel, die an bestimmten Plätzen patrouillieren. Bewaffnet, versteht sich. Sicher ist sicher.
Auch wenn an diesen Plätzen noch nie was passiert ist. Aber es könnt ja was passieren. Sicher ist sicher.
Erst nur an „Brennpunkten“. Nicht dass es so etwas in München wirklich gebe, aber: Sehr gutes Wort. Klingt so schön nach Gefahr. Hören Sie, wie es lodert? Riechen Sie den Schwefelgeruch? Sicher ist sicher.
Alsbald muss dieser Ordnungsdienst sukzessive ausgebaut werden. Sicher ist sicher!
„In drei bis fünf Jahren muss er flächendeckend in der Stadt präsent sein können“, sagte Kuffer. Und Kameraüberwachung! Sicher ist sicher!
Sicherheit sei eine Illusion, könnte man einwenden, weil das Leben nicht ganz ohne (böse) Überraschungen funktioniert. „Sind Sie sicher?“, würde Kuffer darauf reagieren. Und anfügen, wie er es im Interview tut: „Was wäre die Alternative – Unsicherheit und Chaos als Teil eines urbanen Lebensgefühls?“ Sicherheit oder Chaos. Dazwischen gibt es für ihn nichts.
„Ordnung ist die Vorstufe zur Sicherheit“, sagt Kuffer dann noch. Und das ist ein interessanter Satz. Er stimmt nämlich nicht. Ordnung ist die Vorstufe zur Hölle. Vor allem für diejenigen, die nicht zur elitären Clique der Münchner BürgerInnen gehören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau