Kommentar Österreichs Grenzpolitik: Ein zweites Idomeni in Südtirol?
Österreich will den Brenner gegen Flüchtlinge abriegeln. Das ist nicht nur asylpolitisch Unsinn, sondern könnte auch das Verhältnis zu Italien belasten.
K ampfpanzer am Brenner? Ein zweites Idomeni in Bozen oder Brixen? Noch ist es nicht so weit. Doch Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat am Dienstag die italienische Regierung alarmiert, als er ankündigte, bis zu 750 Bundesheersoldaten seien „zeitnah“ verfügbar, um die Grenze zu Italien abzuriegeln.
Und Außenminister Sebastian Kurz, seit wenigen Tagen offiziell Vorsitzender der konservativen ÖVP, legte bei einem Besuch in Tirol nach: „Wir bereiten uns vor und werden unsere Brenner-Grenze schützen, wenn es notwendig ist“.
Der Wahlkampf für die vorgezogenen Nationalratswahlen am 15. Oktober hat längst begonnen und die zerstrittenen Regierungsparteien wetteifern darum, welche die Flüchtlingsabwehr effizienter betreibt. Da darf auch die symbolisch und emotional aufgeladene Brenner-Grenze nicht ausgespart bleiben. Den Zorn heimkehrender Italien-Urlauber, die mit mehr als einer Stunde Wartezeit rechnen müssten, nimmt man in Kauf.
Selbst am Höhepunkt der Flüchtlingswelle von 2015 hatte man auf Absperrungen an dieser Grenze verzichtet. Denn der Brenner ist nicht nur ein Nadelöhr der wichtigsten Nord-Süd-Frachtenroute, sondern auch eine Innertiroler Grenze, die jahrzehntelang daran erinnerte, dass das Bundesland geteilt ist. Südtirol musste ja nach dem Ersten Weltkrieg an Italien abgetreten werden.
Absurder Aktionismus
Letztlich erfolgreiche Autonomieverhandlungen prägten zwei Generationen lang das österreichisch-italienische Verhältnis. Seit Österreichs EU-Beitritt 1995 gibt es diese Grenze nicht mehr.
Die Vorstellung, dass demnächst mitten in der Urlaubssaison zehntausende afrikanische Bootsflüchtlinge durch Kärnten und Tirol marschieren und die Bevölkerung knapp vor den Wahlen verunsichern könnten, löst bei den Politikern aber Aktionismus aus. SPÖ-Chef Christian Kern muss man zugute halten, dass er die scharfe Linie seines Verteidigungsministers nicht teilt. Zurückgepfiffen hat er ihn aber nicht. Man spielt good cop – bad cop.
Kern hat erst am Montag wieder europäische Solidarität mit Italien eingemahnt und alle Mitgliedsstaaten aufgerufen, ihre Quote an Flüchtlingen zu übernehmen. Da dieser Aufruf ungehört verhallen wird, haben weiter die Scharfmacher das Sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut