Kommentar Öffentlichkeitsfahndung G20: Feinde auf dem Silbertablett
Die Polizei sucht erneut per Öffentlichkeitsfahnung nach G20-Straftäter*innen. Für die Aufklärung von Polizeigewalt betreibt sie keinen vergleichbaren Aufwand.

Die Soko „Schwarzer Block“ der Hamburger Polizei bittet die Bevölkerung erneut per Öffentlichkeitsfahndung um Mithilfe. Allen voran versucht sie, die Medien vor ihren Karren zu spannen. Und viele machen bereitwillig mit. Sie sollten schleunigst den Beruf wechseln, denn sie haben ihre Aufgabe, staatliche Institutionen zu kontrollieren, nicht verstanden. Stattdessen lassen sie sich für den Kampf um die Deutungsmacht instrumentalisieren.
Den betreibt die Polizei mit viel Energie, denn sie will signalisieren: Wer in Hamburg Chaos gestiftet hat, wird das bitter bereuen. Verhältnismäßigkeit: egal; Unschuldsvermutung: doch nicht bei G20! Es geht um Freund-Feind-Schemata. Jenseits rechtsstaatlicher Prinzipien präsentieren Polizei und Staatsanwaltschaft über 200 Feind*innen auf dem Silbertablett, appetitlich angerichtet zum öffentlichen Zerfleischen.
In dieses Schema passt die Polizeigewalt nicht, die sich während des Gipfels vielerorts brutal gegen Demonstrant*innen gerichtet hat. Die aufzuklären, ist Sache der Innenbehörde und der Staatsanwaltschaft, aber hier betreibt niemand einen vergleichbaren Aufwand. Das Dezernat Interne Ermittlungen arbeitet still vor sich hin und die Staatsanwaltschaft stellt die Verfahren nach und nach ein.
Oberstaatsanwalt Michael Elsner versucht auf zynische Art, die Schuld umzudrehen: Dass bei den Ermittlungen gegen Polizist*innen nichts rumkommt, liege an mangelnder „Kooperationsbereitschaft“ der Anzeigenden, sagt er.
Die Staatsanwaltschaft weiß, dass, wer eine*n Polizist*in anzeigt, eine Gegenanzeige kassiert. Und wer die G20-Prozesse beobachtet, weiß auch, wie es vor Gericht läuft: Die Polizeizeug*innen legen oft absurde Auftritte hin, können sich an das meiste nicht erinnern oder verweigern „aus einsatztaktischen Gründen“ die Aussage, lesen gegenseitig ihre Berichte und sprechen Aussagen ab.
Aber weil sie Polizist*innen sind, genießen sie bei Staatsanwaltschaft und vielen Richter*innen einen blinden Vertrauensvorschuss. Ihnen drohen keinerlei Konsequenzen. Die Verlierer*innen bei diesem traurigen Schauspiel sind nicht nur die Opfer von Polizeigewalt und die Verurteilten. Es ist der Rechtsstaat – und die für dumm verkaufte Öffentlichkeit.
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