Kommentar Obamas Irak-Bilanz: Angst vor dem Bürgerkrieg
Der Irak ist, anders als Obama sagt, keineswegs stabil. Viele haben Angst, dass nun die alten Bruchlinien des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten wieder aufbrechen.
Wir haben einen stabilen, souveränen und auf seinen eigenen Füßen stehenden Irak hinterlassen" hat der US-Präsident seinen heimkehrenden Truppen zugerufen. Eine gewagte Aussage, denn das Zweistromland ist 100.000 tote Iraker, 4.500 gefallene US-Soldaten und eine Billion Dollar Kriegskosten nach Beginn des Irakabenteuers von Barack Obamas Vorgänger George W. Bushs alles andere als stabil. Nach wie vor sterben täglich 12 Menschen durch Anschläge und politische Morde.
Auch Obamas Behauptung, der Irak sei souverän, würden viele Iraker anzweifeln. Die einen fürchten, dass die USA mit dem Abzug ihrer Truppen das Land endgültig dem iranischen Einfluss überlässt. Die anderen weisen darauf hin, dass in Bagdad immer noch die größte US-Botschaft der Welt steht. Viele haben Angst, dass nun die alten Bruchlinien des Bürgerkrieges zwischen Schiiten und Sunniten erneut aufbrechen - und dass sich dabei so manche Miliz als stärker erweisen könnte als die offizielle Armee.
Die vergangenen neun Jahre US-Präsenz im Irak sind ein weiterer Beweis dafür, dass sich politische Kräfteverhältnisse nicht durch Militärintervention von außen verschieben lassen. Was die USA im Zweistromland erlebten, erfuhr Israel im Krieg gegen die Hisbollah im Libanon. Man kann nur hoffen, dass beide ihre Lektion gelernt haben, bevor sie in ihren Strategiezentren über militärische Operationen gegen den Iran nachdenken.
ist Nahost-Korrespondent der taz und lebt in Kairo.
Wenn überhaupt, dann hat der Irakkrieg die größte Kräfteverschiebung aller Zeiten in der arabischen Welt nicht vorangetrieben, sondern verzögert. Denn die USA haben mit ihrer Einmischung das Konzept Demokratisierung nachhaltig beschädigt. Seitdem konnten arabische Diktatoren die demokratische Bestrebungen in der eigenen Bevölkerung mit der Frage bremsen, ob das Volk wirklich eine Demokratie à la Irak anstrebe. Ohne die Intervention wäre der Arabische Frühling möglicherweise Jahre früher ausgebrochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten