Kommentar Obamas Bekenntnisse: Ein neuer Merkel-Fan
Zum Abschied hat Barack Obama nur lobende Worte für die Bundeskanzlerin. Dahinter steckt auch eine große Portion Eigeninteresse.
N ach Barack Obamas Abflug bleiben zwei Bekenntnisse hängen. Erstens: Obamas Verhältnis zur Kanzlerin war manchmal distanziert, jetzt gibt er sich aber als größter Angela-Merkel-Fan jenseits der Uckermark. „Einmal mehr möchte ich sagen, wie dankbar wir für die Partnerschaft mit Angela sind. Vielen Dank, Angela!“, sagte der Präsident zum Auftakt seiner wohl letzten dienstlichen Deutschlandreise.
Zweitens: Mag sein, dass trotz Euro- und Fluchtkrise irgendwo auf dem Kontinent noch ein paar überzeugte Europäer ausharren. Der überzeugteste Europäer scheint im Jahr 2016 aber im Weißen Haus zu residieren. „Die Ideale Europas erleuchten die Welt“, sagte Obama gestern in seiner Rede auf der Hannover Messe, dem Höhepunkt seines Besuchs.
Und was steckt dahinter? Tatsächlich die pure Begeisterung? Oder obendrauf auch eine gute Portion Eigeninteresse?
Obama hat schließlich mitbekommen, dass nicht nur zu Hause in den USA ein gefährlicher Rechtspopulist nach der Macht greift. Auch in Europa streben nationalistische Parteien in die Regierungen oder sind bereits dort angekommen. Selbst Deutschland bleibt davon nicht verschont und muss sich mittlerweile mit der AfD einrichten.
Mit Ausnahme ihrer osteuropäischen Ableger vereint diese rechten Emporkömmlinge eines: Außenpolitisch schielen sie eher in Richtung Moskau als in Richtung Washington. Hält ihr Aufstieg an, stehen die transatlantischen Beziehungen vor der größten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Es liegt also im ureigenen amerikanischen Interesse, die verbliebenen proeuropäischen Kräfte und deren Galionsfigur Merkel zu stärken.
Aber reichen schöne Worte dafür aus? Oder müsste Obama seiner europäischen Freundin nicht ganz praktisch helfen? Die USA haben zwar zu den aktuellen Fluchtursachen beigetragen, bisher aber nicht einmal 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
Würde Obama zum Ende seiner Präsidentschaft nachlegen, würde er nennenswerte Kontingente nach Amerika holen, ließe der Druck auf Europa nach. Die Rechtspopulisten könnten dann tatsächlich an Schwung verlieren.
Allein: Innenpolitisch könnte Obama solch ein Programm, noch dazu im Wahljahr, nur mit großer Mühe umsetzen. In diesem Punkt vereint ihn mit Angela Merkel also einiges.
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