Kommentar Obama in Moskau: Kreml gebauchpinselt

Barack Obama ist der Spagat gelungen: In Moskau hat er weder die russische Opposition verraten, noch ist er der Kreml-Regierung auf die Füße getreten.

Russlands Opposition hegte große Befürchtungen. Wird US-Präsident Barack Obama die Zukunft von Demokratie und Rechtsstaat in Russland der Realpolitik opfern, um die Beziehungen zu Moskau erneuern? Vielleicht gar bereit sein, außenpolitisch einen Kuhhandel einzugehen: Georgien gegen den Iran tauschen? Die Ängste der Opposition waren nicht unberechtigt. Hatte doch vor allem der Druck aus dem Westen die Herrschenden zu demokratischen Zugeständnissen bewegt.

Doch die Kremlkritiker können beruhigt sein. Obama hat niemanden verraten. Bemerkenswert ist, dass er auch niemandem auf die Füße trat. Er hofierte Russland wie eine Supermacht, obwohl - abgesehen vom Atomwaffenarsenal - dies nun nicht mehr dem tatsächlichen Gewicht Moskaus entspricht. Der Kreml fühlt sich gebauchpinselt, und ein wenig ernster genommen wird er auch.

Bleibt es dabei, dürfte es Moskau schwerer fallen, sich den Wünschen des Westens glaubwürdig zu entziehen. Und in Iran und Afghanistan werden auch russische Interessen verteidigt. Wandel durch Annäherung hieß der Prozess, der in den 1970er-Jahren unter dem Mantel der KSZE Ost und West einander annäherte. Er trug dazu bei, das kommunistische System zu unterhöhlen. Obamas Initiative könnte ähnliche Wirkungen zeitigen.

Dem Antiamerikanismus als Kreml-Hofideologie und Markenzeichen patriotischer Gesinnung hat die Visite schon jetzt eine kleinen Riss zugefügt. Der Antiamerikanismus ist der Mythos, auf dem Kreml und Staatsapparate die politische Macht begründen. Wenn dieser Bedrohungsmythos entschlüsselt wird, am besten durch Kooperation beim Raketenabwehrschirm, entzieht sich die herrschende Kaste selbst den Boden unter den Füßen.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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