Kommentar Napolitanos Rücktritt: Offenes Visier ist angesagt
Der italienische Präsident Napolitano tritt zurück, nun muss ein Nachfolger gefunden werden. Der Kandidat wird das Ergebnis eines Kompromisses sein.
E igentlich ist es in Italien ganz so wie in Deutschland: Über der Regierung thront ein Staatspräsident, der vor allem die Einheit der Nation repräsentieren, sich aber aus den laufenden Geschäften tunlichst heraushalten soll. Und wie in Deutschland wird auch der Präsident in Rom indirekt gewählt, durch die beiden Kammern des Parlaments.
Damit aber hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Während in Berlin das Rennen gewöhnlich schon gelaufen ist, wenn die Wahlmänner und –frauen zusammentreten, geht es in Rom in jenem Moment erst richtig los. Auch die anstehende Wahl von Giorgio Napolitanos Nachfolger dürfte da keine Ausnahme bilden.
Gerade in Zeiten unklarer Mehrheitsverhältnisse im Parlament bietet die Präsidentenkür die Chance, einerseits mehr oder minder offene Allianzen zwischen den politischen Lagern zu knüpfen – und andererseits die Gelegenheit, innerhalb der jeweiligen Lager unter bisweilen tief verfeindeten Freunden abzurechnen.
Vor diesem Hintergrund wäre Ministerpräsident Matteo Renzi gut beraten, wenn er mit offenen Karten spielt. Notgedrungen wird der Kandidat – oder die Kandidatin – fürs höchste Amt im Staat Frucht eines Kompromisses sein. Die entscheidende Frage aber ist: welche Sorte Kompromiss? Renzi kann den Weg der Hinterzimmerabsprache mit Silvio Berlusconi gehen – oder aber mit offenem Visier kämpfen.
Renzi ist bisher auch so stark in der öffentlichen Meinung, weil er nicht als Teil des „alten“ Politikbetriebs wahrgenommen wird. Jetzt hat er die Chance zu beweisen, dass er die Dinge wirklich anders machen will. Indem er etwa einen Bürgerkandidaten präsentiert, zu dem Teile der Rechten aber auch die Abgeordneten von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung einfach nicht Nein sagen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
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