Kommentar NSU-Prozess: Aussage gegen Aussage
Ob Ralf Wohlleben seine Ausführungen am Ende nützen, hängt davon ab, ob er glaubwürdiger ist als sein Ex-Kumpan Carsten S.
Der Angeklagte im Strafprozess darf schweigen oder lügen. Ein Nachteil darf ihm daraus nicht erwachsen (jedenfalls solange er dabei niemand falsch beschuldigt). Andererseits kann ein Angeklagter aber ein milderes Strafmaß erwarten, wenn er gesteht, reinen Tisch macht, Reue zeigt und so den Rechtsfrieden ein Stück weit wieder herstellt. Warum aber gestehen dann nicht alle (zurecht beschuldigten) Angeklagten, wenn das so günstig ist? Noch günstiger ist es natürlich, wenn man gar nicht verurteilt wird oder nur wegen eines Teils der Anklagepunkte.
So scheinen nun wohl auch Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben zu denken. Ihre Aussagen sind zwar umfangreich, aber erwecken nicht den Eindruck, als wollten sie reinen Tisch machen. Vielmehr würde ein großer Teil der Anklagevorwürfe entfallen, wenn die Realität wirklich so war, wie Zschäpe und Wohlleben sie schildern.
Wohlleben zum Beispiel ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, weil er im Auftrag des NSU-Trios den ebenfalls angeklagten Carsten S. die spätere Tatwaffe besorgen ließ und selbst auch noch 2500 Mark zur Finanzierung beisteuerte. Wohlleben dagegen behauptet, dass er von geplanten Morden nichts ahnte und an der Beschaffung der Ceska-Pistole nur peripher beteiligt war, jedenfalls kein Geld dafür bereitstellte.
Letztlich steht Aussage gegen Aussage. Denn Carsten S. belastet Wohlleben. Deshalb wirft Wohlleben seinem ehemaligen Gesinnungsgenossen S. falsche Darstellungen vor. Es ist also eine Frage der Glaubwürdigkeit. Dabei kommt es auf Konstanz und Stimmigkeit der Aussage an, und natürlich auch darauf, ob es weitere Beweise für die eine oder andere Version gibt.
Während im NSU-Prozess bisher Zeugen und Beweismittel nur daraufhin geprüft wurden, ob sie die Anklage stützen, müssen sie jetzt auch mit den Versionen von Zschäpe und Wohlleben abgeglichen werden. Bisher schien das Gericht zwar an der Anklage nicht zu zweifeln. Doch bis zum Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Und beim Urteil gilt das Gebot „Im Zweifel für den Angeklagten“ - auch bei Neonazis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja