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Kommentar NS-Geschichte im KanzleramtSchaltstelle des Schweigens

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Etliche Ministerien und Behörden haben inzwischen ihre NS-Kontinuitäten aufgearbeitet. Dass sich das Kanzleramt weigert, ist grotesk.

Himmel über dem Kanzleramt im August Foto: dpa

W as treibt eigentlich das Bundeskanzleramt, dass es immer noch nicht bereit ist, seine eigene Geschichte angemessen aufarbeiten zu lassen?

Vor der Jahrtausendwende fiel die Antwort nicht schwer. Damals lebten schlichtweg noch allzu viele NS-belastete Interessenten des Vergessens. Deren Leumund zu schützen, hatten sich die Bundesregierungen von Adenauer bis Kohl verpflichtet gesehen. Das „kommunikative Beschweigen“ der Gründerjahre wirkte auch in den folgenden Jahrzehnten nach und prägte die politische Kultur in der Bundesrepublik tief.

Es war leicht, den Nationalsozialismus scharf zu verurteilen, solange nur der Kreis der Verantwortlichen eng genug gezogen wurde. So ließen sich unangenehme Fragen nach problematischen Personenkonstellationen, Kontinuitätslinien und aus der NS-Zeit fortwirkenden Mentalitäten ausblenden – oder, wie im Fall von Adenauers Kanzleramtschefs Globke, als „DDR-Propaganda“ abtun.

Aber das war früher. Mit dem Ableben der Erlebnisgeneration haben sich die alten Loyalitätszusammenhänge weitgehend aufgelöst. Es hat zwar allzu lange gedauert, bis sich die bundesdeutschen Institutionen mit ihren braunen Flecken auseinandersetzten. Doch inzwischen hat sich viel getan. Siebzehn Ministerien und oberste Bundesbehörden haben in den vergangenen Jahren Historikerkommissionen eingesetzt.

Nur das Bundeskanzleramt weigert sich hartnäckig – obwohl es die für die Personalpolitik der Bundesregierung zentrale Schaltstelle war und ist. Es wäre endlich an der Zeit, diese gravierende Forschungslücke zu schließen. Wenn Kulturstaatsministerin Monika Grütters – gegen das einhellige Votum der Sachverständigen in der Bundestagsanhörung vom Juni – trotzdem nur ein „ressortübergreifendes Forschungsprogramm“ auflegen will, ist das geradezu grotesk. Der Verdacht liegt nahe, dass hier weiter verschleiert werden soll.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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3 Kommentare

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  • War das anders zu erwarten? Die CDU / CSU und SPD stehen kritischem Denken sehr skeptisch gegenüber und versuchen überall, ihren Einheitsbrei über die Menschen zu bringen.

     

    Dass im Kanzleramt gestandene Nazis ihre bürgerliche Karriere vollenden konnten, wäre doch nur störrend und würde dem einen oder anderen doch vor Augen führen, dass die NS-Geschichte eben ein Faß ohne Boden ist, weil die BRD das größte Wiedereingliederungsprogramm für Täter in der Geschichte der Menschheit ist/war (nach Ralph Giordano).

     

    Und wir wollen ja alle in die Wellnesssektion gehen, keiner will in der Problemsektion bleiben, leider muss es manchmal sein, aber SPD, CDU, CSU wünschen es nicht. Dabei gingen sie gar kein Risiko ein, selbst der BND hat Historikern manchen Aktenschrank geöffnet, es ginge also schon. Vor der BND-Zentrale gab es auch keine Demos oder Konflikte, sondern solche Aufarbeitungen entschärfen eher. Gerade Deutschland braucht Aufarbeitung.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich denke, da soll einfach gespart werden. Kann ich auch irgendwie nachvollziehen. Globke näher zu beleuchten, was soll das bringen? Kommt am Ende noch heraus (weil's schon auf Wiki oder so steht), dass er persönlich gar nicht so schlimm war und sogar dafür gearbeitet hat, dass die Nürnberger Gersetze nicht zu scharf ausgelegt werden und dadurch die Verfolgung von etlichen Menschen im NS-Staat verhindert hat.

     

    Wen interessiert schon diese "Aufarbeitung" noch? Finanziell kommt dabei sicher nichts für die Opfer heraus, Ergebnisse werden einmal in der TAZ oder sonst wo gewürdigt und dann verschwinden sie aus der Öffentlichkeit. Alibi-Geschichtsschreibung irgendwie.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Darf ich mal tippen -

       

      Ein Verwandter Martin Walsers!;)

      (& auch Schwabe¿)