Kommentar NPD-Aufmarsch: Blockaden gut, Böller nützlich
Was zusammenkommen muss, um einen Naziaufmarsch erfolgreich zu verhindern – und warum der Kreuzberger Blockadeerfolg dennoch nicht ungetrübt ist.
M ehrere tausend Gegendemonstranten haben am Samstag einen Aufmarsch der NPD durch Berlin-Kreuzberg verhindert. Nach stundenlangem Warten und wenigen Schritten war auf der Brückenstraße Schluss.
Noch ehe sie die Bezirksgrenze erreicht hatten, mussten die Nazis umkehren und wurden in eine S-Bahn nach Ostdeutschland verfrachtet, wo sie am späten Nachmittag demonstrierten. Durch ihre Blockaden verpassten die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger Erkenntnisse wie diese eines NPD-Redners: „Unsere Kinder werden beim Schulsport als letzte in die Mannschaft gewählt.“
Dabei verliefen die Blockaden nicht ganz gewaltfrei, was manche Medien gar nicht genug hervorheben konnten: „Krawalle bei NPD-Aufmarsch in Berlin“, titelte Bild.de, „Autonome bewerfen Polizei mit Feuerwerkskörpern“ hieß es bei der Boulevardkonkurrenz von Spiegel-Online, wo man zwar viel für die − keineswegs immer friedlichen − Demonstranten vom Tahrir und Taksim oder gar vom Majdan übrig hat, ein paar Böller in Kreuzberg aber offenbar für die Vorboten des Bürgerkriegs hält.
Das Erfolgsrezept
Das ist natürlich Quatsch. Denn um einen Nazi-Aufmarsch zu verhindern, braucht es dreierlei: Eine große Menge friedlicher Blockierer, die nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch alle Verbindungsstraßen blockieren, ein bisschen Militanz zur rechten Zeit und eine Polizei, die keine Lust verspürt, den Nazis den Weg freizuprügeln (und dafür selber Prügel einzustecken). Diese drei Dinge kamen am Samstag zusammen.
Dass den rund hundert rechtsextremen Jammerlappen ein vielfaches an Antifaschisten gegenüberstand, hätte zwar ausgereicht, dass die Polizei die Naziveranstaltung aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ abbricht. Tatsächlich ließ sie die Nazis aber erst umkehren, nachdem an einer möglichen Ausweichroute vor dem Märkischen Museum ein paar Böller und Flaschen geflogen waren und die Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray reagierte.
Mit diesem Rezept wurden schon öfter Naziaufmärsche verhindert, im Februar in Cottbus etwa, zuvor in Dresden oder in Frankfurt am Main. Und so werden die zum 1. Mai in Rostock, Dortmund und Berlin-Neukölln geplanten NPD-Demonstrationen zu verhindern sein.
Getrübt wurde dieser Kreuzberger Festtag nicht durch das bisschen nützlichen Krawall, sondern durch eine Meldung, die die Polizei veröffentlichte, während die Nazis noch von allen Seiten einkesselt an der Bezirksgrenze herumhingen: Am Vortag hatte in der Kreuzberger Graefestraße eine Gruppe von sechs jungen Männern einen Israeli antisemitisch beleidigt und ihm ins Gesicht geschlagen. Die Täter: Keine ostdeutschen Nazis, sondern deutsch-arabische Jugendliche. Für das Ziel #BerlinNazifrei gibt es auch ohne NPD noch viel zu tun. Soweit es geht, friedlich.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott