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Kommentar Misstrauensvotum ÖsterreichKurz entschlossen

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Österreichs Kanzler muss dank eines Misstrauensvotums gehen – will aber sein Projekt unbedingt vollenden. Neuauflage leider nicht ausgeschlossen.

Auf Wiedersehen! Fragt sich nur, mit wem Foto: reuters

R achegelüste der SPÖ. So erklärt der abgesetzte Bundeskanzler den erfolgreichen Misstrauensantrag gegen ihn und seine Regierung. Sebastian Kurz ist ein begnadeter Selbstvermarkter und seine Darstellung als Opfer der billigen Vendetta einer Verliererpartei passt in die Inszenierung.

Kurz – der ÖVP-Sieg bei den EU-Wahlen belegt das – erfreut sich nach wie vor hoher Sympathiewerte. 64 Prozent der Wahlberechtigten sprachen sich am Sonntag in einer Umfrage gegen seine Absetzung aus. Die SPÖ muss damit rechnen, dass ihr das bei den nächsten Wahlen auf den Kopf fällt.

Dass Revanche bei den Überlegungen, dem Kanzler das Misstrauen auszusprechen, eine Rolle gespielt hat, kann nicht ausgeschlossen werden. In Wahrheit hatten die Sozialdemokraten aber keine andere Wahl. Sebastian Kurz hatte sie mit der Sprengung der von Christian Kern (SPÖ) angeführten Regierung vor zwei Jahren gelehrt, dass bei ihm taktisches Kalkül schwerer wiegt als Vertragstreue.

Nach dem folgenden Wahltriumph galt sein Bestreben, mit dem Juniorpartner FPÖ möglichst viele Bastionen der SPÖ zu schleifen. Dafür nahm er in Kauf, Rechtsextreme in Spitzenjobs zu befördern. Entgegen der in Österreich über Jahrzehnte gepflegten Konsensdemokratie hatte er 17 Monate lang nie den Kontakt zur größten Oppositionspartei gesucht – und auch nach dem Platzen der jüngsten Regierung traf er alle Entscheidungen im Alleingang. Für jemanden, der demnächst darauf angewiesen ist, einen neuen Partner zu finden, zeugt es von wenig Weitsicht, mögliche Partner zu verprellen.

Kurz ist davon besessen, den neokonservativen Umbau der Republik, den er mit der FPÖ so erfolgreich begonnen hat, auch zu vollenden. Und man muss sich fragen, welche Konstellation außer einer Alleinregierung ihm das ermöglichen würde. Eine Neuauflage von Türkis-Blau – also ÖVP-FPÖ – nach den Nationalratswahlen im kommenden September ist nicht ausgeschlossen.

Der SPÖ-Basis wäre es jedenfalls schwer zu vermitteln gewesen, hätte ihre Partei, die ja am Wirken der Regierung kein gutes Haar gelassen hatte, dem Kanzler das Vertrauen ausgesprochen.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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2 Kommentare

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  • "In Wahrheit hatten die Sozialdemokraten aber keine andere Wahl." (Ralf Leonhard)



    Einspruch! Was den Menschen in Österreich jetzt kaum vermittelbar ist, ist weshalb man jetzt unbedingt den endgültigen Sturz der Regierung betreiben mußte, wo es doch in ca. 3 Monaten ohnehin zu Neuwahlen kommt. Bis dahin wäre Kurz aktionsunfähig gewesen und die Opposition hätte die Moglichkeit gehabt diesen komplett überschätzten Selbstdarsteller genüßlich auf den Grill zu setzen.



    Selbstverständllich hätte die SPÖ die Möglichkeit gehabt den angekündigten Misstrauensantrag der Liste Jetzt abzuwarten, um sich dann mit einer Stimmenthaltung von alldem abzusetzen. So hat sie nun das Problem gemeinsam mit den FPÖ-Rechtsaußen gestimmt zu haben. Keine sehr glückliche Strategie!

  • Klar kommt er wieder, und ohne Koalitionspartner wird er im Zweifel auch nicht dastehen. Die Olivenzweige von den FPÖ-Abgeordneten waren schon während der Debatte um den Misstrauensantrag sichtbar. Man kann also davon ausgehen, dass das Tischtuch nicht zerrissen ist. Am Ende ging es der FPÖ doch darum zu verhindern, dass ihr nach "Ibiza" noch verbliebener Spitzenmann im Kabinett, Herbert Kickl, auch noch verbrannt wurde. Nur deshalb war der dramatische Bruch nötig. Im Herbst sieht Alles dann schon anders aus.

    Die SPÖ hingegen hat sich mit dieser fast schon gehässig wirkenden Grätsche in der Krise möglicherweise massiv in den Fuß geschossen. Nicht nur wirkt das kleingeistig und opportunistisch, Alles, was jetzt bis zur Wahl unter der im luftleeren Raum agierenden Übergangsregierung noch schiefgeht - und das wird so Einiges sein -, kann Kurz der SPÖ in die Schuhe schieben. Die Vorwürfe der SPÖ hingegen wirken ein wenig vorgeschoben. Der einzig glaubhafte, der nebenbei auch inhaltlich durchzieht, ist dass Kurz den Kanzlerbonus für seine Wiederwahl nutzen würde (wow, das ist jetzt aber mal echt ein unerhörtes Schwerverbrechen gegen die politische Kultur...).

    Könnte also sein, das Kurz dank der Klatsche, die die SPÖ sich einfängt, die FPÖ im Herbst gar nicht braucht...