piwik no script img

Kommentar Minigipfel zur EU-KriseMerkels flotter Dreier

Kommentar von Eric Bonse

Das Treffen der Kanzlerin mit Matteo Renzi und François Hollande suggeriert Aufbruch. Dabei tut Merkel so, als hätte es den Brexit nie gegeben.

Viel Wind gemacht: Renzi, Merkel und Hollande Foto: reuters

F ast zwei Monate sind seit dem Brexit-Votum vergangen. Doch Europa weiß immer noch nicht, wie es nach dem britischen Nein weitergeht. Bricht die Europäische Union auseinander? Oder reißt eine neue Führung das Ruder herum und rettet die EU?

Kanzlerin Angela Merkel bemüht sich in diesen Tagen um eine Antwort. Ein erstes Treffen mit Ratspräsident Donald Tusk in Berlin verlief ohne Ergebnis. Umso größer waren deshalb die Erwartungen an den Dreiergipfel mit Italien und Frankreich. Doch sie wurden enttäuscht. Das Treffen am Grab des Antifaschisten Altiero Spinelli und die Pressekonferenz auf dem Flugzeugträger „Giuseppe Garibaldi“ war reich an Symbolen, jedoch arm an Substanz. Der Kurs der EU bleibt weiter unklar.

Merkel ließ die von Gastgeber Matteo Renzi gewählten Symbole links liegen. Sie wollte kein Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten von Europa abgeben, die Spinelli einst visionär entworfen hatte. Mehr Europa, eine föderale EU? Für Merkel kein Thema. Auch eine europäische Streitmacht bleibt tabu. Dass Renzi sie auf das Flaggschiff der EU-Mission „Sophia“ gelockt und für mehr Militärmissionen geworben hatte, prallte an Merkel ab. Nur beim Grenzschutz, also bei der Flüchtlingsabwehr, will sie mehr tun.

Doch selbst das bleibt vage – wie alles, was Merkel bei diesem Dreiergipfel sagte. Überraschend ist das nicht. Denn die Kanzlerin hat keinen Plan. Der Brexit hat sie kalt erwischt, der Verlust ihres Buddys David Cameron hat sie schwer getroffen. Zusammen mit Cameron hat Merkel das EU-Budget gekürzt und Brüssel auf Wettbewerbsfähigkeit und Freihandel eingeschworen. Nun steht sie allein im deutschen Europa und muss französisch-italienische Forderungen nach einem Kurswechsel abwehren.

Weitere Reisen nach Estland, Tschechien und Polen

Der Kurztrip nach Neapel hatte denn auch vor allem den Zweck, Renzi und Hollande auszubremsen. Seit langem versuchen Italiener und Franzosen, eine Alternative zum neoliberalen deutschen Kurs zu formulieren. Unverhohlen fordert Renzi mehr Macht für Rom. Das will Merkel abwehren. Sie wählt die Umarmungstaktik, geht auf Renzi und Hollande zu, lässt sich aber nicht auf ihre Ideen ein. Sie legt einen flotten Dreier mit Italien und Frankreich hin, will aber kein neues Führungstrio bilden.

Renzi steht ein Referendum, Hollande eine Präsidentschaftswahl bevor, beide könnten darüber stürzen.

Warum auch? Renzi und Hollande sind zu schwach, um Europa zu neuen Ufern führen zu können. Dem Italiener steht ein Referendum, dem Franzosen eine Präsidentschaftswahl bevor, beide könnten darüber stürzen. Merkel hingegen sitzt fest im Sattel. Und so plant sie schon die nächsten Reisen – nach Estland, Tschechien und Polen. Auch dort wird sie versuchen, einen Kurswechsel abzuwehren und den Status quo zu verteidigen. Alles soll weitergehen wie bisher, als hätte es den Brexit nie gegeben.

Europa bringt das nicht voran. Aber das scheint Merkel nicht zu scheren. Erst nach der Bundestagswahl in einem Jahr will sie – vielleicht – ein paar EU-Reformen wagen. Bis dahin soll das Ancien Régime weitergehen. Schließlich ist es ihr Regime. Der Rest ist Show.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Frage an die Mitforisten: Was haltet ihr von der Idee eines föderalistischen Europas?

     

    Mir ist nicht wohl bei der Sache, weil ich befürchte, daß damit auch massive Einschränkungen einhergehen und versucht wird, alles über einen Kamm zu scheeren.

     

    Was meint ihr?

  • Ich stimme Mowgli zu: Das alles sind ja keine neuen Probleme, die sind über Jahrzehnte hinweg sorgfältig gezüchtet worden.

    Ich halte Merkel für loyal und für eine der wenigen ehrlichen Politiker.

  • das angela merkel und nicht jean-claude juncker mit europa in verbindung gebracht wird ist etwas seltsam,schliesslich ist jean-claude juncker der kommissionspräsident der europäischen union und nicht angela merkel-nur weil sie die arbeit von ihm macht ist sie nicht die verantwortliche für europa,schliesslich hat sie wie jedes andere ratsmitglied auch nur eine stimme-das er bei diesem treffen nicht dabei war das unterstreicht doch das ihm das verantworungsbewustsein gegenüber der europäischen union fehlt,den hätte er in der flüchtlingskrise verantwortungsbewusst gehandelt dann wäre europa jetzt nicht abhängig von der türkei-

  • Auf mich wirkt das ja eher so, als wolle unsere Bundeskanzlerin dieses schwierige Thema auch wieder einmal "aussitzen".

    Bloß nicht konkret werden, dann kann man auch im Nachhinein nicht in die Verantwortung genommen werden. Prima.

    • @Julia Tattinger:

      Als hätten Merkels Vorgänger Europa wirklich voran gebracht!

       

      Es hat tatsächlich schon etliche "Kurswechsel" gegeben in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Kaum einer davon hatte auch nur entfernt mit Verantwortung zu tun. Helmut Schmidt ("Wer Visionen hat, der soll zum Arzt") hat das Pflichtgefühl und die Standhaftigkeit, Sekundärtugenden der KZ-Betreiber, wieder salonfähig gemacht. Helmut Kohl ("Deutschland braucht eine geistig-moralische Wende") hatte nichts dringenderes zu tun, als die wenigen sozialliberalen Fortschritte der 70-er rückgängig zu machen. Schröder ("Deutschland muss die Mittelmacht-Rolle annehmen") musste es unbedingt remilitarisieren und den Banken an den Hals werfen. Einig waren sich die Herren lediglich darin, dass Europa ausschließlich eine Wirtschaftsunion ist. Dass Deutschland, wenn es ökonomisch siegt über seine "Partner", politisch und sozial verlieren wird, wollten sie nicht realisieren.

       

      Die Kerle haben Merkel einen Scherbenhaufen hinterlassen. Politik ist in den Augen der Wählerinnen und Wähler nichts mehr wert. Vertrauen? Fehlanzeige. Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene gibt auch nur ein Bürger einen Roten Heller auf die Sonntagsreden und Symbole etablierter Politiker. Lieber läuft man wieder Rattenfängern hinterher. In einer Lage wie der aktuellen, scheint mir, würde Aktionismus der traditionellen Macho-Art den Niedergang nur noch beschleunigen.

       

      Nein, Merkel hat vermutlich keinen "Masterplan". Aber wenigstens steht sie ja dazu. Die große "Show" lässt sie doch lieber andere aufführen, nachdem sie mit der Rettung "der Griechen" und "der Syrer" ein paar Erfahrungen gesammelt hat als leader der Nation. Das fällt ihr um so leichter, als es immer noch reichlich (männliche) Bewerber für den Gockel-Job gibt.

       

      Nun denn: Kikeriki! Was weiß ein Hahn schon von Verantwortung?

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @mowgli:

        Schröder hat mehr geleistet. Er hat die SPD kastriert und die Linkspartei gestiftet. Und am Ende steht er noch dafür Pate, warum die CDU für viele Junge heute wählbarer ist als die SPD.

         

        Es gerät schnell aus dem Blick, was für wirkungsmächtige PolitikerInnen die beiden sind. Hätte man im Labor eine tödliche Seuche für die Sozialdemokratie kreieren wollen, sie hätte nicht mehr leisten können als dieser Mann. Selbst wo er weg ist, wird immer noch gestorben. Merkel wiederum ist wahrlich ein Antlitz der Macht, bei allem Sarkasmus, den diese Aussage bedeutet. Alle Gewalt liegt hinter ihr geborgen und wird kanalisiert. Sie erscheint (und wird inszeniert) als Auge des Hurrikan.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @24636 (Profil gelöscht):

          Genau. Merkel-Phänomen konnte nur durch einen Beinahe-Suizid der SPD entstehen. Und damit ist nicht nur der Schröder gemeint sondern auh das unterwürfige Sich-Andienen als Juniopartner seiner Nachfolger.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    "Merkel hingegen sitzt fest im Sattel."

     

    Ist das so?

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Leider ist das so - und wenn Merkel das will, dann wird sich auch in den nächsten 20 Jahren daran nichts ändern. Die Schlafmützigkeit der meisten Wähler sowie die politische Konfliktvermeidungsstrategie aller etablierten Parteien geben ihr allein diese Macht.

      • @Urmel:

        Es sit schon die Frage ob es wirklich an der "Schlafmützigkeit der Wähler" liegt. Immerhin stützen in wichtigen Fragen ALLE im Bundestag vertretenen Parteien Frau Merkel.

        Wen oder was soll der Wähler da denn wählen?

        • @Werner W.:

          "Immerhin stützen in wichtigen Fragen ALLE im Bundestag vertretenen Parteien Frau Merkel."

           

          Und was für wichtige Fragen wären das konkret? Irgendwelche Beispiele?

          • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

            Griechenland, Flüchtlinge, Energiepolitik,

        • @Werner W.:

          Ja, Sie haben ohne Zweifel recht, sowohl mit Ihren Fragen als auch mit Ihrer Feststellung.

           

          "Wen oder was soll der Wähler da denn wählen?"

           

          Angesichts der von Ihnen zu Recht problematisierten politischen Großwetterlage im Bundestag kommt man als „ewiger“ Linker ganz schön ins Schwitzen, wenn man mit dieser Frage konfrontiert wird. Zum Beispiel dann, wenn diese Frage vom Fragestellenden noch ein klein wenig erweitert wird (exakt das ist mir am Wochenende auf einer Gartenparty passiert).

           

          "Wen oder was soll ich denn wählen, wenn ich ohne Für und Wider für die Einhaltung der Menschenrechte eintrete? Also auch für den Schutz Minderjähriger, deren Rechte offensichtlich immer umfassender auf dem Altar kultureller Toleranz geopfert werden (Stichwort: Infragestellung des Prinzips der Ehemündigkeit).“

           

          Welche Wahlempfehlung kann man diesem Fragestellenden daraufhin guten Gewissens geben?

          • 2G
            24636 (Profil gelöscht)
            @Urmel:

            "Wen oder was soll ich denn wählen, wenn"

             

            Jene, die sowas auf den ersten Blick als populistische Hetze gegen muslimische MitbürgerInnen erkennen. Nächste Frage.

            • @24636 (Profil gelöscht):

              „Jene, die sowas auf den ersten Blick als populistische Hetze gegen muslimische MitbürgerInnen erkennen. Nächste Frage.“

               

              Ich fürchte, dass diese Argumentation nicht ansatzweise ausreicht, um den in meinem obigen Beispiel erwähnten Fragesteller zu einer „korrekten“ Entscheidung zu bewegen.

               

              Zum einem handelt es sich bei dem Betreffenden keineswegs um einen tumben Nachplapperer irgendwelcher rechtspopulistischer Parolen, sondern um einen Hochschulprofessor, der seit den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts bis heute aktiv in der Flüchtlingshilfe tätig ist. Zum anderen findet und fand er mit seinen Bedenken in weiten Kreisen zunehmend Unterstützung, und zwar von vielen Personen aller Couleur vom Holzfacharbeiter bis zur Buchhändlerin, von dem Facharzt bis zum Informatiker, von der Altenpflegerin bis zum Elektriker und nicht zuletzt von vielen Menschen (wie es so schön heißt) mit „Migrationshintergrund“.

               

              Alle diese Personen sind inzwischen reichlich verunsichert angesichts der Tatsache, dass sich immer mehr Linke und Grüne von der Verteidigung der Menschenrechte für jeden einzelnen Menschen verabschieden und statt dessen Bewertungen von Argumentationen nach dem einfachen Prinzip vornehmen, dass man deren Stichhaltigkeit einzig und allein nach deren (vermutet negativer) Wirkung beurteilt. Welche Blüten diese seltsame Entwicklung bereits getrieben hat, zeigte sich in den letzten Jahren u.a. dadurch deutlich, dass sogar die Verwerflichkeit von Ehrenmorden erhebliche Relativierungen erfuhr.

               

              Liebe Linke, liebe Grüne: Kämpft endlich wieder für die Rechte aller Menschen: Kinder, Frauen, Männer, LGBTs, Migranten und Nichtmigranten. Missachtet nicht die Rechte einer Gruppe, nur um vermeintlich die einer anderen Gruppe zu verteidigen.

            • @24636 (Profil gelöscht):

              Also doch weiter Merkel wählen.