Kommentar Mindestlohn: Grüße von der Agenda 2010
Hartz IV ist teuer und ungerecht, weil es Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, indirekt belohnt. Allerdings sollte man vom Mindestlohn keine Wunderdinge erwarten.
E lf Milliarden Euro hat der deutsche Staat 2009 ausgegeben, um Niedrigverdiener mit Hartz IV zu einem halbwegs erträglichen Dasein zu verhelfen. Tendenz steigend. Faktisch bedeutet dies, dass die Steuerzahler Unternehmen, die miese Löhne zahlen, subventionieren.
Außerdem zeigt diese Zahl, dass die rot-grüne Arbeitsmarkt- und Sozialreformen für den Staat kein gutes Geschäft waren. Dass working poor zum Massenphänomen geworden sind, ist auch ein Resultat der Agenda 2010. Die Hoffnung, dass aus Mini- und Teilzeitjobs reguläre Jobs würden, war eine Illusion. Passiert ist offenbar das Gegenteil: Unter tätiger Mithilfe von Rot-Grün haben Minijobs und Zeitarbeit feste Jobs ersetzt.
Hartz IV ist teuer und ungerecht, weil es Unternehmen, die Dumpinglöhne zahlen, indirekt belohnt. Deshalb, so Linkspartei, Grüne, Gewerkschaften und selbst die halb klug gewordene SPD, brauchen wir schleunigst einen Mindestlohn, der sich in etwa auf französischem Niveau von gut 8,50 Euro bewegen soll. Diese Forderung ist richtig. Ihre Umsetzung, die an der ideologischen Verbohrtheit des bürgerlichen Lagers scheitert, ist längst überfällig.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz, hier insbesondere zuständig für die Partei "Die Linke".
Allerdings sollte man vom Mindestlohn keine Wunderdinge erwarten. Auch von rund 1.300 Euro brutto lässt sich keine Familie ernähren, geschweige denn Altersarmut verhindern. Das zentrale Problem ist die Spaltung des Arbeitsmarkts. In der exportorientierten Industrie werden gute Löhne gezahlt. Doch im Dienstleistungssektor, vor allem in Pflege, Gesundheit und Sozialwesen, sind die Löhne mies. Nirgends in Europa ist der Lohnabstand zwischen Industrie und Dienstleistungen so groß wie in Deutschland. Diese Aufspaltung wird auch durch den Mindestlohn nur ein bisschen gemildert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen