Kommentar Merkels Flüchtlingspolitik: Die Simulation von Politik

In den kommenden Wahlen könnte die Union Stimmen verlieren. Deshalb verspricht Merkel der Klientel ihrer Partei nun realitätsfremde Dinge.

Horst Seehofer, Sigmar Gabriel und Angela Merkel sind durch das Fenster des Kanzleramtes zu sehen

Eine „Merkel-Krise“ besteht zweifellos. Foto: dpa

Angela Merkel steht unter Zugzwang. Sie selbst hat eine Reduzierung der Flüchtlingszahl versprochen. Bei den anstehenden Wahlen in drei Bundesländern drohen der CDU deutliche Einbußen. In der Union rumort es von Woche zu Woche mehr.

Egal ob man die Auffassung nun teilt, dass die Migranten eine Flüchtlingskrise ausgelöst haben: Eine Merkel-Krise ist zweifellos vorhanden. Da helfen ihr auch die neuen Sympathien von linker bis liberaler Seite wenig, denn diese Wähler werden ihr Kreuz deshalb gewiss nicht bei der CDU machen.

Weil die Kanzlerin aber mit ihren Bemühungen auf der Stelle tritt, mithilfe der Türkei und der EU eine Reduktion der Flüchtlingszahlen zu erreichen, sie zugleich aber CSU-„Obergrenzen“ und geschlossene Schlagbäume im Schengen-Raum ablehnt, muss sie auf einem anderen Feld Signale setzen. Wenn schon die Zahl der Einreisen aktuell nicht gedrückt werden kann, dann sollen es eben die Rückreisen werden.

Deshalb verspricht Angela Merkel Dinge, die sich für die Klientel der Union gut anhören, auch wenn sie in Wahrheit realitätsfremd sind. Denn die von ihr erwartete Rückkehr Zehntausender Flüchtlinge nach Syrien in einigen Jahren ist derzeit nicht mehr als ein frommer Wunsch. Juristisch steht die Idee auf schwachen Füßen.

Hinzu kommt, dass die Geflüchteten nicht nur vor dem Krieg geflohen sind. Sie haben in der Regel auch ihr Hab und Gut verkaufen müssen, wenn sie überhaupt noch eine Bleibe hatten. Die Erfahrung lehrt, dass diese Menschen nicht mehr in ihre alte Heimat zurückkehren.

Diese Versprechungen sind realitätsfremd. Und sie sind doppelt vergiftet

Nein, die neue Angela Merkel ist deshalb nicht wieder die alte geworden. Aber diese Art Versprechungen, die als Drohungen gegenüber den Flüchtlingen daherkommen, sind gleich doppelt vergiftet. Denn zum einen suggerieren sie, dass es die Deutschen mit ihren Integrationsbemühungen nicht übertreiben müssen, wenn ein Großteil der Geflüchteten ohnehin schon bald wieder weg ist. Zum anderen ersetzen sie politisches Handeln durch Behaupten.

Diese Simulation des Politischen mag ein paar Wochen lang sogar funktionieren. Aber auf längere Sicht schafft sich die Union damit die Basis für eine weitere Entfremdung – und füttert diejenigen an, die „etablierte“ Politiker als notorische Lügner verunglimpfen, um ihre völkisch-rassistischen Vorstellungen durchzusetzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.