Kommentar Mehdorns Zahlenspiel: Die Bahn leidet mit Hintergedanken
Im Sommer präsentierte der Bahnchef noch Rekordzahlen. Jetzt verkündet er das Gegenteil. Ein Grund ist vermutlich auch, dass jetzt Tarifverhandlungen anstehen.
W ie schnell sich die Zeiten ändern können! Noch im August präsentierte ein euphorischer Hartmut Mehdorn sensationelle Zahlen für die Deutsche Bahn: neue Rekorde bei transportierten Waren und Gütern, deutliches Wachstum bei Umsatz und Gewinn, große Erwartungen für die Zukunft. Drei Monate später verkündet der Bahn-Chef das Gegenteil: Jetzt ist von massiven Umsatzeinbrüchen beim Gütertransport und stagnierenden Zahlen im Personenverkehr die Rede, von Einsparungen, zurückgestellten Investitionen, entlassenen Leiharbeitern und Zwangsurlaub für die regulären Beschäftigten.
Malte Kreutzfeldt ist Leiter des taz-Ressorts Ökologie und Wirtschaft.
Nun ist es ohne Frage richtig, dass die Bahn unter der Wirtschaftskrise leiden wird: Als wichtiger Transporteur etwa der Automobil-, der Chemie- und der Stahlindustrie gehen ihre Umsätze logischerweise zurück, wenn diese Branchen ihre Produktion rezessionsbedingt herunterfahren. Der Zeitpunkt und das Ausmaß von Mehdorns Ankündigungen ist dennoch überraschend, und der radikale Sinneswandel wirft Fragen auf.
Entweder war der Bahn-Chef bisher zu optimistisch, oder er malt nun besonders schwarz. Für beide Taktiken gäbe es gute Gründe: In wenigen Tagen beginnen die neuen Tarifverhandlungen der Bahn - und da ist das präsentierte "Worst-Case"-Szenario zweifellos hilfreich, um die Forderungen der Gewerkschaften nach höheren Löhnen abzuwehren.
Im Sommer dieses Jahres hingegen hatte Mehdorn noch ein ganz anderes Ziel vor Augen: Da wurden alle Bilanzen auf den im Oktober geplanten Börsengang ausgerichtet und entsprechend positiv präsentiert. Wenn der Bahn-Chef also heute - trotz weiterhin erwarteter Gewinne - so nahtlos von der rosaroten Brille zum Schwarzmalen wechselt, dann zeigt das nicht nur seine Neigung zu interessengeleiteter Interpretation der Unternehmenszahlen.
Es steckt nämlich auch eine gute Nachricht in dieser neuen Außendarstellung: Selbst der Privatisierungsfetischist Hartmut Mehdorn hat die Hoffnung auf einen Bahn-Börsengang in absehbarer Zeit offenbar aufgegeben.
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