Kommentar #MeToo auf der Berlinale: Es fehlt ein Statement
Die Berlinale setzt Zeichen gegen sexuelle Übergriffe. Sie muss aber auch klar Position beziehen, um Betroffene zum Sprechen zu ermutigen.
K önnen wir wirklich keine Revolution, wie Lenin mal sagte? „Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Ein bisschen erinnert die Petition der Schauspielerin Claudia Eisinger an diese Kurzanalyse. Sie könnte sich ja mit anderen Schauspielerinnen selbst organisieren und eine gemeinsame Aktion gegen Sexismus auf der Berlinale starten. Stattdessen fordert sie Berlinale-Direktor Dieter Kosslick seit Dienstag mit einer Petition auf, Position zu beziehen: Mach den Teppich schwarz. Mach du ein Statement, Chef.
Was Kosslick in Sachen #MeToo unternimmt: Es gibt auf der Berlinale Diskussionsrunden. Und Anlaufstellen, um von Übergriffen zu berichten. Und anscheinend wurden Filme von Regisseuren gar nicht erst fürs Programm ausgewählt, die Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe begangen und dies zugegeben haben. Auch dass das Festival Initiativen wie „Speak Up“ Raum gibt für den Launch einer Webseite für Betroffene von sexueller Belästigung in der Filmbranche, all das sind wirklich starke Zeichen. Allein sie reichen nicht aus.
„Ich glaube, symbolische Dinge sind gut, aber wir wollen es mal mit der inhaltlichen Diskussion probieren“, sagte Kosslick Anfang Februar der B. Z. „Das Thema ist so kompliziert und vielschichtig, dass man es wirklich differenziert angehen muss.“ Diese Aussage ist selbst so dermaßen differenziert – dass sie vom Wesentlichen ablenkt. Symbolische Aktionen sind sehr wohl wichtig. Schon allein, weil sie Betroffenen signalisieren: Ihr seid nicht allein. Und diese dadurch zum Sprechen ermutigen. Wer schweigt, verändert nichts.
Und kompliziert ist das Thema eigentlich auch nicht. Es geht um das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Es geht um Grenzen. Die Filmbranche bietet besondere Umstände für Grenzüberschreitungen, auch und vielleicht besonders in Form von sexuellen Übergriffen. Das können wir seit der Harvey-Weinstein-Enthüllung in Hollywood jeden Tag nachlesen, zuletzt noch einmal ganz eindrücklich in den Texten über den deutschen Regisseurs Dieter Wedel. Ein Festival, das ein internationaler Leuchtturm dieser Branche sein will, muss sich hier klar positionieren.
Vielleicht ist der schwarze Teppich nicht die beste Idee. Vielleicht kommt die Petition zu kurzfristig. Vielleicht ist das Ganze zu deutsch, weil erst einmal eine Petition aufgesetzt wird mit einer Forderung in Richtung Chef, anstatt selbst direkt zu handeln. Aber die Petition fordert dennoch das Richtige: ein Statement. Vielleicht liefert Kosslick dieses ja noch bis zum Eröffnungsabend. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering. Auf Anfrage der taz betonte der Berlinale-Direktor, dass man sich als Festival „bewusst gegen eine ‚Symbolpolitik‘ entschieden“ hätte.
Vielleicht müssen also die Schauspielerinnen und die mit ihnen solidarischen Schauspieler selbst Fakten schaffen: Einen Eimer Farbe gibt's im Baumarkt schon ab 10 Euro.
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