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Kommentar Machtwechsel in IndienDie multipolare Welt

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der Sieg in Indien markiert eine neue Etappe der Weltpolitik: Die Dominanz des Westens ist vorbei, doch die Menschheitsziele gehen verloren.

Der Wahlsieger von der hindu-nationalistischen Partei BJP: Narendra Modi Bild: ap

D er Erdrutschsieg der rechtsnationalistischen BJP in Indien läutet nicht nur für das zweitgrößte Land der Erde eine neue, spannende Epoche ein. Er markiert auch eine neue, beunruhigende Etappe auf dem Weg der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts: ein Weg der rivalisierenden Nationalismen.

„India Rising“, das aufstrebende Indien, steht jetzt neben „China Rising“ und „Africa Rising“ sowie dem aggressiven Nationalismus in Russland. Die großen Machtblöcke der Welt stellen sich neu und selbstbewusst auf.

Ihre Botschaft: Die Dominanz des Westens ist vorbei. Das ist die politische Dimension der Machtverschiebungen, die in der Weltwirtschaft schon seit einiger Zeit im Gange sind. Europa und die USA sind nicht mehr die wichtigsten Akteure der Erde.

So renken sich die globalen Ungleichgewichte, die der Siegeszug der europäischen imperialen Eroberung des Globus vor Jahrhunderten einläutete, allmählich wieder ein. Indien und China melden sich auf der Weltbühne nicht neu an, sondern sie reklamieren ihre alten Plätze. Weltregionen wie Afrika und Lateinamerika, die von europäischer Herrschaft viel stärker geprägt sind, eifern ihnen nach.

Das wäre zu begrüßen, wenn es allein um die Korrektur historischer Ungleichheiten ginge. Aber bieten die neuen aufstrebenden Mächte mit ihrer Infragestellung westlicher Werte wirklich eine attraktive Alternative? Ist es nicht eher ein rückwärtsgewandtes Denken, das sich dort breitmacht?

Als vor 25 Jahren der Kalte Krieg zu Ende ging, machte in Europa das Schlagwort der „multipolaren Weltordnung“ die Runde. Die Hoffnung war, dass auf die Ost-West-Blockkonfrontation eine Ära der regelgeleiteten, auf gemeinsame Menschheitsziele ausgerichteten internationalen Kooperation folgen möge. Sie erwies sich als trügerisch. Es folgten stattdessen blutige ethnische Konflikte und ab 2001 das Auftrumpfen der USA.

Jetzt kehrt die multipolare Welt zurück, aber sie ist kein Hoffnungsträger mehr. Ihre Protagonisten haben keine gemeinsamen Ziele, sondern rivalisierende Interessen. Ihnen geht es nicht um die Zukunft der Menschheit, sondern um die eigene Macht. Nach innen stehen sie nicht für Emanzipation, sondern für Gehorsam.

Eine gefährliche Konfrontation

Nur in der EU und in Barack Obamas USA herrscht heute noch die Illusion, man könne durch Verzicht auf eigene Machtansprüche auch andere besänftigen. Wladimir Putin macht gerade in der Ukraine vor, was er davon hält. China und seine Nachbarn rund um das Südchinesische Meer schlittern auf eine brandgefährliche Konfrontation zu.

Eine hindu-nationalistische Regierung Modi in Indien könnte an den Fronten Kaschmir und Afghanistan Funken schlagen, die weltpolitisch nicht weniger explosiv sind. Ganz zu schweigen davon, was es bedeutet, wenn die Mehrheit der Weltbevölkerung unter Regimen lebt, die die Unterordnung des Volkes unter den Machtanspruch der Nation zur Staatsdoktrin erheben.

In Europa ist dieses reaktionäre Denken eine Domäne der Rechtspopulisten, die Putin und Modi zujubeln. Diejenigen, die für europäische Werte stehen, müssen darauf eine Antwort finden. Aber dafür müssen sie erst einmal begreifen, dass sie nicht mehr der Nabel der Welt sind.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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