Apropos Alternative "Nach Schleswig-Holstein flog Die Linke auch in Nordrhein-Westfalen aus dem Landtag. Das Wahlergebnis der Partei war erschütternd und ernüchternd zugleich. (…) Zu konstatieren ist dabei erst einmal: Das Scheitern der Linken ist keine Folge eines verfehlten Wahlkampfes, eines »zu radikalen« Programms oder falscher Schwerpunktsetzung. Mit einem Schwerpunkt auf sozialen Themen hat Die Linke im Wahlkampf die brennenden Fragen vieler Menschen aufgegriffen. Von den bürgerlichen Monopolmedien, die in den letzten Wochen vor allem die FDP aber auch die Piraten großgeschrieben haben, konnten wir auch in diesem Wahlkampf keine Unterstützung erwarten. Ganz im Gegenteil hatten sie das Ziel, Die Linke aus dem Landtag rauszuhalten. Da das Linke-Bashing bei der letzten Landtagswahl nicht zum Erfolg geführt hatte, wurden diesmal die Ziele und Kandidaten der Linken eher verschwiegen (…). Verfehlt wäre es auch, den sicherlich nicht förderlichen Führungsstreit in der Bundespartei für das schlechte Abschneiden verantwortlich zu machen. Der Führungsstreit ist vielmehr selbst eine Folge der Krise der Partei und nicht ihre Ursache.
Denn die Wahlniederlage der Linken in NRW – und auch in Schleswig-Holstein – hat tieferliegende Ursachen. Sie ist primär eine Folge der Vernachlässigung des Parteiaufbaus, der fehlenden außerparlamentarischen Mobilisierungen und der mangelnden gesellschaftlichen Verankerung in den westdeutschen Bundesländern. Es ist uns in NRW nicht gelungen, die halbe Millionen Wählerinnen und Wähler des Jahres 2010 für gesellschaftliche Veränderungen zu mobilisieren. Es reicht eben nicht, sich von den Wählern mit einem Mandat ausstatten zu lassen, denn auch die besten Gesetzesinitiativen haben bei fehlenden parlamentarischen Mehrheiten und fehlenden außerparlamentarischen Bewegungen und Initiativen keine Chance auf Realisierung. Durch die Konzentration auf den Parlamentarismus, Wahlkämpfe und die Arbeit in den Kommunalparlamenten hat die Partei in NRW die Arbeit an der Basis und in den Bewegungen vernachlässigt. Bei 400 Linken-Kommunalmandaten auf verschiedenen Ebenen in NRW, die auf rund 8000 vielfach passive Mitgliedern kamen, wurden viele Aktivistinnen und Aktivisten aus den Basisorganisationen durch die Kommunalparlamente regelrecht aufgesogen, ohne daß entsprechend Aktive nachrückten. (…)
Enormes Unbehagen
Die für bundesdeutsche Verhältnisse äußerst niedrige Wahlbeteiligung in NRW und Schleswig-Holstein von rund 60 Prozent, das Abwandern ehemaliger Linksparteiwähler ins Lager der Nichtwähler (vor allem im Saarland und Schleswig-Holstein, prozentual in wesentlich geringerem Maße in NRW) aber auch das Überlaufen zu den durch (schein-)rebellische Form anstelle von sozialem Inhalt glänzenden Piraten offenbart eine breite Desillusionierung sowohl gegenüber der herrschenden Politik als auch gegenüber ausschließlich parlamentarisch vermittelten gesellschaftsverändernden Projekten. Zwar haben wir in Deutschland infolge der kapitalistischen Krise noch keine breite soziale Massenbewegung wie in einigen anderen EU-Staaten. Das Unbehagen mit dem Casino-Kapitalismus und einer Bundesregierung, die gegen die Interessen der Masse der Wählerinnen und Wähler Milliarden an die Banken verschenkt, ist enorm angewachsen. (…) Daß dieses Unbehagen außer in kleineren Occupy-Aktionen und gelegentlichen Massenmails gegen den ESF noch keinen öffentlichen Ausdruck gefunden hat, liegt gleichfalls an der Desillusionierung breiter Bevölkerungsschichten in die vorhandenen Parteien und Verbände und den Parlamentarismus. Diese Desillusionierung geht aber weiter, sie läßt die Menschen auch an ihrer eigenen Kraft zweifeln. Die Aufgabe einer linken Partei ist es, überall dort, wo es Widerstand gegen eine unsoziale Politik gibt, präsent zu sein, die Menschen zu unterstützen, zu ermutigen und ihr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Veränderung zu stärken. (…)
Im Mittelpunkt des Landtagswahlprogrammes der NRW-Linken stehen die Forderungen nach Mindestlöhnen von zehn Euro, einer Anhebung der Hartz-Sätze auf 500 Euro und die 30-Stundenarbeitswoche. Warum hat die Partei eigentlich niemals versucht, koordiniert um diese Forderungen 10-500-30 auf die Straße zu gehen, Unterschriften zu sammeln, Komitees zu bilden etc.? Wie sollen die Wähler uns als Partei und unseren Willen zur Gesellschaftsveränderung ernstnehmen, wenn wir nicht einmal selbst aktiv für unsere Forderungen eintreten? Auch das radikalste Programm braucht Menschen, die es umsetzen.
In NRW verlor Die Linke 90000 Wähler an die SPD, gefolgt von 80000 an die Piraten. Durch die besondere politische Situation mit einer von der Linken tolerierten Minderheitsregierung in NRW war es der Linken nicht in genügendem Maße gelungen, ihr eigenes Profil zu zeigen. (…)
Regionalpartei im Osten
Da Die Linke gleichzeitig mit der Wahlniederlage in Schleswig-Holstein in Thüringen Bürgermeister- und Landratsämter mit teils beeindruckenden Mehrheiten eroberte, erklären einige ostdeutsche Landespolitiker, unterstützt von der bürgerlichen Presse, das Projekt einer gesamtdeutschen Linkspartei für gescheitert und plädieren für die Konzentration auf eine ostdeutsche Regionalpartei mit einem Schwerpunkt auf kommunaler Kleinarbeit. Die Ausgangsbedingungen für Die Linke sind auch mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung historisch bedingt in Ost und West unterschiedlich. Doch nichts wäre schädlicher, als sich heute an der imaginären Grenze »Westsektierer« gegen ostdeutsche Volkspartei auseinanderdividieren zu lassen. Wer eine ostdeutsche Regionalpartei will, hat ein gesamtdeutsches antikapitalistisches und systemveränderndes Projekt aufgegeben und will schlicht eine andere sozialdemokratische Partei. Die Stärke der Partei Die Linke besteht aber gerade im Zusammenkommen von Linken unterschiedlicher Tradition und Erfahrung. Die ostdeutschen Landesverbände zeigen uns, wie eine in der Gesellschaft – in Kommunen, Landtagen, Vereinen und Verbänden – verankerte Partei mit sozialem Dienst am Menschen auch solide Wahlergebnisse einfahren kann. Es gehört zu den Aufgaben einer linken Partei, sich auch um die alltäglichen Probleme der Menschen vor Ort zu kümmern und dafür ein offenes Ohr zu haben. Kommunale Mandate können dafür eine große Hilfe sein. Aber das reicht nicht aus, um eine widerständige Partei zu sein und zu bleiben. Denn allzu leicht geht so der Blick auf den Gesamtzusammenhang, das große Ganze, auf die Einbindung der Kommunen in die kapitalistische Gesellschaft und die daraus resultierenden »Sachzwänge« verloren.
Nichts wäre falscher, als sich jetzt medienwirksam in einer weiteren Führungsdebatte zu verheizen. Aus den Niederlagen in Schleswig-Holstein und NRW gilt es vor allem die Schlußfolgerung zu ziehen, die Partei Die Linke auf einem soliden Fundament aufzubauen. Das wiederum kann nur bedeuten, sich nicht auf unsichere konjunkturbedingte Parlamentsposten zu verlassen, sondern auf die Schaffung von auf Dauer lebendigen und kampagnefähigen Basisorganisationen, auf eine wirkliche Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften, auf das Engagement unserer vielen Aktivistinnen und Aktivisten in außerparlamentarischen Bewegungen.
Das Scheitern der Linken in Schleswig-Holstein und NRW widerspricht dem europäischen Trend. In Frankreich und Griechenland haben Parteien links von der Sozialdemokratie stark in der Wählergunst gewonnen. Noch sind die Folgen der Finanz- und Eurokrise, die in Wahrheit die Krise des kapitalistischen Systems sind, nicht mit voller Macht in Deutschland angekommen. Doch wenn in Zukunft auch hierzulande die Folgen der Krise bei Millionen unmittelbar spürbar werden und die soziale Polarisierung abermals zunimmt, werden die sozialen Verwerfungen neue Chancen für Die Linke bieten. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß es uns bis dahin glaubhaft gelingt, uns als soziale und widerständige Bewegungspartei sowohl mit einem praktischen Nutzen im Alltag der Menschen als auch mit einer zukunftsweisenden antikapitalistischen Vision zu verankern. Packen wir es an!
Ein erster Schritt sollte in einer massenhaften Beteiligung der Linken an den Aktionen von »Blockupy« vom 16. bis 19. Mai in Frankfurt am Main bestehen.
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