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Kommentar Krise in LibyenEs ist nicht zu spät

Mirco Keilberth
Kommentar von Mirco Keilberth

400.000 Libyer sind auf der Flucht. Die Politik wird von religiösen Extremisten bestimmt. Die EU muss nun endlich handeln.

Freund der Fantasieuniform: Gaddafi 2010 in Tripolis. Foto: dpa

A ls Gaddafi 2011 seine Panzer rollen ließ, wurde aus den Protesten für die Freilassung des Bürgerrechtlers Fathi Terbil ein Kampf für ein neues Gesellschaftsmodell. Europa zögerte nicht, die Aufständischen mit Luftangriffen zu verteidigen. Seitdem haben die Libyer bei 90 Lokal- und zwei Parlamentswahlen religiösen Extremisten und sonstigen Hardlinern die rote Karte gezeigt.

Doch nun holen sich radikale Milizen mit der Waffe, was ihnen an den Wahlurnen verwehrt blieb: den Zugang zu den vollen Kassen in Afrikas ölreichstem Staat. Als Feigenblatt müssen Islam und Revolution herhalten. Die neue Diktatur der Islamisten gegen Bürgerrechtler wie Terbil, der sich 2011 für inhaftierte religiöse Oppositionelle eingesetzt hatte, ließ Europa bisher gewähren.

Keiner der zahlreichen Morde und Entführungen seit 2011 wurde gesühnt oder vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag verfolgt. 400.000 Libyer sind auf der Flucht, halb Bengasi liegt in Trümmern.

Anders als der Westen haben die Islamisten aus den Kriegen in Syrien und im Irak gelernt. Nicht große Gebiete, sondern die Übernahme der einst moderaten Moscheen und Schmuggelnetzwerke sind ihr Ziel. Längst heuern sie Migranten für den Kampf gegen eine Interventionstruppe in Sirte an, von wo die Boote nach Europa ablegen. Mit Bomben ist dieser neue IS nicht mehr zu verjagen.

Es ist nicht zu spät für einen Mittelmeerpakt zwischen der EU und ihren nordafrikanischen Nachbarn, deren Jugend nach Orientierung sucht und vom Staat alleingelassen wird. Die EU darf aus dem Mittelmeer keine Grenze machen, sondern eine Verbindung der Kulturen und des Handels. Der neuen libyschen Einheitsregierung, den Reformern in Tunesien und Algerien muss beim Aufbau von Staatsmodellen geholfen werden, die vor allem der Jugend mehr bieten als die Radikalen. Bildung und Jobs sind die schärfsten Waffen im Kampf gegen den IS.

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Mirco Keilberth
Auslandskorrespondent Tunis
Mirco Keilberth berichtet seit 2011 von den Umstürzen und den folgenden Übergangsprozessen in Nordafrika. Bis 2014 bereiste er von Tripolis aus Libyen. Zur Zeit lebt er in Tunis. Für den Arte Film "Flucht nach Europa" wurde er zusammen mit Kollegen für den Grimme Preis nominiert. Neben seiner journalistischen Arbeit organisiert der Kulturwissenschaftler aus Hamburg Fotoausstellungen zu dem Thema Migration. Im Rahmen von Konzerten und Diskussionsveranstaltungen vernetzt seine Initiative "Breaking the Ice" Künstler aus der Region, zuletzt in Kooperation mit der Boell-Stiftung im Rahmen des Black Box Libya Projektes.
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2 Kommentare

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  • Die Libyer sind also mit ihrer von Sarkozy gesponserten pro-islamistischen Rebellion 2011 vom Gaddafi -Regen in die Deasch/Al Quaida-Jauche gekommen (sehr frei nach Wolf Biermann)

  • Nein, es ist nie zu spät. Aber sehr oft ist es viel zu früh.

     

    Bevor die EU den Libyern zu Hilfe kommt, sollte sich sich erst mal um sich selber kümmern, finde ich. Ihre internen Probleme sind schließlich derzeit so groß und wirken derart unlösbar, dass "die EU" (genauer: ihre Repräsentanten) nichts anderes mehr tun wollen, als davon abzulenken. Und zwar dadurch, dass sie sich überall auf der Welt ungefragt einmischen in jeden sich bietenden Konflikt.

     

    Ich bin sehr einverstanden: Es braucht einen "Mittelmeerpakt" zwischen der EU und ihren Nachbarn, nicht nur den nordafrikanischen übrigens. Eine Jugend, die nach Orientierung sucht und dabei allein gelassen wird, ist gefährlich. Für sich und für andere. Junge Leute aber gibt es mehr als genug in manchen Grenzregionen außerhalb der EU. Auch das eine Folge jahrzehnte- bzw. jahrhundertelangen verfehlten oder fehlenden staatlichen Handelns (failed states).

     

    Die EU darf aus dem Mittelmeer "keine Grenze machen, sondern eine Verbindung der Kulturen und des Handels". Aber wer den Reformern in Tunesien und Algerien beim Aufbau von Staatsmodellen helfen will, die der Jugend mehr zu bieten haben als die Radikalen, muss selbst erst einmal mit sich im Reinen sein. Das sind die Europäer derzeit eher nicht.

     

    Bildung und Jobs sind die schärfsten Waffen im Kampf gegen den IS. Nicht nur in Libyen, Tunesien oder Marokko. Auch in Ungarn, Polen, Griechenland, Italien Frankreich oder Deutschland. So lange diese "Waffe" nicht beherrscht, so lange sie also erkennbar nicht sinnvoll eingesetzt wird, sollte sie im Schrank bleiben. Ein Afghanistan, ein Irak, ein Syrien etc. sind schließlich schon mehr als genug.