Kommentar Krise in Libyen: Es ist nicht zu spät
400.000 Libyer sind auf der Flucht. Die Politik wird von religiösen Extremisten bestimmt. Die EU muss nun endlich handeln.
A ls Gaddafi 2011 seine Panzer rollen ließ, wurde aus den Protesten für die Freilassung des Bürgerrechtlers Fathi Terbil ein Kampf für ein neues Gesellschaftsmodell. Europa zögerte nicht, die Aufständischen mit Luftangriffen zu verteidigen. Seitdem haben die Libyer bei 90 Lokal- und zwei Parlamentswahlen religiösen Extremisten und sonstigen Hardlinern die rote Karte gezeigt.
Doch nun holen sich radikale Milizen mit der Waffe, was ihnen an den Wahlurnen verwehrt blieb: den Zugang zu den vollen Kassen in Afrikas ölreichstem Staat. Als Feigenblatt müssen Islam und Revolution herhalten. Die neue Diktatur der Islamisten gegen Bürgerrechtler wie Terbil, der sich 2011 für inhaftierte religiöse Oppositionelle eingesetzt hatte, ließ Europa bisher gewähren.
Keiner der zahlreichen Morde und Entführungen seit 2011 wurde gesühnt oder vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag verfolgt. 400.000 Libyer sind auf der Flucht, halb Bengasi liegt in Trümmern.
Anders als der Westen haben die Islamisten aus den Kriegen in Syrien und im Irak gelernt. Nicht große Gebiete, sondern die Übernahme der einst moderaten Moscheen und Schmuggelnetzwerke sind ihr Ziel. Längst heuern sie Migranten für den Kampf gegen eine Interventionstruppe in Sirte an, von wo die Boote nach Europa ablegen. Mit Bomben ist dieser neue IS nicht mehr zu verjagen.
Es ist nicht zu spät für einen Mittelmeerpakt zwischen der EU und ihren nordafrikanischen Nachbarn, deren Jugend nach Orientierung sucht und vom Staat alleingelassen wird. Die EU darf aus dem Mittelmeer keine Grenze machen, sondern eine Verbindung der Kulturen und des Handels. Der neuen libyschen Einheitsregierung, den Reformern in Tunesien und Algerien muss beim Aufbau von Staatsmodellen geholfen werden, die vor allem der Jugend mehr bieten als die Radikalen. Bildung und Jobs sind die schärfsten Waffen im Kampf gegen den IS.
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