piwik no script img

Kommentar Kretschmer und ChemnitzSächsische Semantik

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Der Landeschef schnürt „Mob“, „Hetzjagd“ und „Pogrom“ zusammen und stempelt Fake News drauf. Er bestärkt damit jene, die „Lügenpresse“ rufen.

Plötzlich international bekannt: Karl-Marx-Monument in Chemnitz Foto: reuters

Der Mob diskutiert nicht. Er weiß, was er will. Wohin er will. Er baut sich vor seinem Ziel auf und lässt seine Wut anschwellen. Er nährt sich mit Schaulustigen, die sich an seiner Hitze wärmen. Dann werden aus 10 Menschen schnell 20, aus 20 werden 40, und am Ende sind es 80. Der Mob feuert seine mutigsten Mitglieder an, um sie später wieder aufzunehmen, in seine schützende Anonymität.“

Dieser Einstieg stand 2007 in einer Gerichtsreportage der taz – es ging um die Attacke auf acht Inder, die eine Menge in der sächsischen Kleinstadt Mügeln verfolgte. In einem Prozess, den ein Amtsrichter akribisch leitete, wurde die Tat rekonstruiert, kurz: Sachsens Justiz weiß, was ein Mob ist.

Die Definition von damals trifft die Bilder aus Chemnitz. Man erkennt sie wieder in den Fernsehbildern und Korrespondentenberichten des Montagabends, nur dass da Tausende durch die Stadt liefen; manche zeigten den Hitlergruß, andere warfen Flaschen, wieder andere provozierten Polizisten. „Wir sind Adolf-Hitler-Hooligans“, wurde gegrölt. Die Menge applaudierte. Man erkennt den Mob auch in den Bildern, die einen Tag vorher gemacht wurden, am Sonntag, beispielsweise, das ZDF hat sie jetzt gezeigt: Wütende Menschen laufen durch die Stadt: „Elendes Viehzeug!“,„Das ist unsere Stadt!“, „Für jeden toten Deutschen einen toten Ausländer!“

Aber nun hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer vor dem Landtag gesagt. „Klar ist: Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom.“

Tatsächlich steht Pogrom für etwas anderes, der Begriff wurde im Zusammenhang mit antisemitischen Übergriffen in Russland Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Als SA-Horden in der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 in Deutschland brandschatzten und mordeten, ging dies als Novemberpogrom in die Geschichte ein. Der Begriff sollte nicht inflationär gebraucht werden. Und Hetzjagd? Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Begriff verwendet – und jetzt ihre Position nochmal bekräftigt. Der Chefredakteur der Chemnitzer Freien Presse, die in den vergangenen Tagen großartig gearbeitet hat, schrieb, seine Reporter hätten Jagdszenen beobachtet, aber keine Hetzjagd, die voraussetze, dass Menschen andere länger vor sich hertrieben. In der Frage, ob gehetzt oder gejagt worden ist, liegt allerdings auch Zynismus. Wer um sein Leben rennt, hat keine Zeit für semantische Rätsel. Trotzdem sollte man genau prüfen, was man weiß und wie man es beschreibt, auch wir.

Genauigkeit ist aber das, was Kretschmer fehlt. Er schnürt aus den drei Begriffen ein Paket, haut einen Fake-News-Stempel drauf und adressiert es an jene Chemnitzer, die sich im Verteidigungsreflex empören. Merkel und die Lügenpresse waren’s: sagt sogar Kretschmer – so oder so ähnlich. Der CDU-Politiker will Leute zurückholen in die Demokratie, als deren größte Gefahr er den Rechtsextremismus benennt. „Wir müssen die Menschen zu Verbündeten machen“, hat er gesagt.

Aber bitte nicht sich zum Verbündeten der Rechten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Wie verklemmtweltfremd muß Mann sein ? Oder: die Wähler können sich auf ihren Ministerpräsidenten verlassen ? Oder : Es ist so wie Christoph schreibt , der Kommetator vor mir ? Oder : Er ist ein IM der Afd ? Oder : Er raucht jeden Abend heimlich mit Seehofer einen Joint und feiert Negativpartys ? Oder : Er hat eine Krankheit die unser Wissenschaftler noch nicht entdeckt haben ? Oder: Er ist eine Versuchspersohn eines rechtsorientieten Chipherstellers der Chipimplantate entwickelt und er hat gerade den "Rechtsradikalausblenderchip" intus ?



    Oder: Sein Textschreiber ist zur Afd übergelaufen und nutzt es schamlos aus das Kretschmer nur ablesen , auswendig lernen aber nicht denken kann ? Wäre das die Warheit wäre alles nur halb so schlimm... oder doch nicht ? Meine Güte , der luftleere Raum kommt zusehens näher und anstatt ihm mit Nächstenliebe und Uhrvertrauen entgegenzutreten scheiteln sich immer mehr Politker die Haare und lassen sich einen gedanklichen Minischnautzer wachsen ....

  • Ja, seltsam. Gerade jetzt empfinde ich diese Debatte, die sich an Wörten und Begriffen abarbeitet, unheimlich. (Mob: kritische Volksmenge (IQ-Frage nicht notwendig). Hetzjagd: hetzerische Angriffe auf unschuldige Passanten und Journalisten. Progrom: Ausschreitungen gegen politisch Andersdenkende, ethnische Minderheiten, Presse usw. Also, auch wenn ich beim Begriff Progrom vorsichtig bin, trifft alles irgendwie dann doch zu). Schade ist, wenn die Sprache von der Realität ablenkt, weil sie ihre eigene Wirklichkeit, die eine abstrakte ist (Wahlkampf), wichtiger empfindet. Der ständige Wahlkampfmodus macht die politische Mitte kaputt, was schade, weil unnötig ist.

  • Ach, Kretschmer ist gar nicht AfD?

  • Kretschmer wirkt wie ein weiterer Brandbeschleuniger in einem dreckigen Spiel.

  • Unbewusst hat Kretschmer hier deutlich gezeigt, warum sich die Menschen in diesem Land empören, den Nazis hinterher rennen und sich an Hetzjagden und Gewalttätigkeiten beteiligen.

    Kretschmer könnte ebenso der kleine Geschäftsführer der Kurbetriebsgesellschaft eines Provinzbades sein. Letzterer versucht im Lokalblatt die Berichterstattung über einen Salmonellenfund im Kurbadeanstalt zu unterdrücken, ersterer bangt um den touristischen Ruf dieses gebräunten Freistaates.

    Seit der Endzeit eines Helmut Kohl als Bundeskanzler findet in der BRD statt Politik nur Marketing statt. Franz Müntefering hat selbst zugegeben, dass man die "Agenda 2010" eben hätte besser verkaufen müssen. Dann wäre die SPD noch stärkste Partei.

    Nun gut, wenn man nur im eigenen Saft schmort, schwindet der Bezug zur Wirklichkeit. Eric Berne beschreibt das als das "Treibhaus"-Spiel, welches bevorzugt in psychiatrischen Krankenhäusern auftritt, aber wie wir sehen bleibt die Politik davon auch nicht verschont.

    Aber das ist die hässliche Seite des Föderalismus, alle diese kleinen Provinzpotentaten wetteifern darum, wer denn nun den Spitzenplatz im Ranking hat. Jeder Ministerpräsident versucht sich mit seinem Landespolizeigesetz einem miesem lateinamerikanischen Polizeistaat so stark wie möglich anzupassen.

    Der ursprüngliche Gedanke des Föderalismus, nämlich einen neuen nationalsozialistischen Staat zu verhindern, hat versagt. Ein Blick in die Geschichte hätte auch nach 1945 bereits gezeigt, dass der Nationalsozialismus in den Spießbürgerprovinzen seinen Anfang nahm. Da seien neben Bayern das Land Braunschweig und Thüringen genannt.

    Das wiederholt sich jetzt im Freistaat Sachsen.

  • Nu gugge: Wieder emol olles Fääk Njüüs. De Lüschenbrässe wors un der Gretschmor hat's üffgedäckt.



    De säckssche AFD schickt'm sischer brofellagdisch s' Bardeibuch zur Ansischt...