Kommentar Korruption in Frankreich: Diskrete Bourgeoisie
Dem französischen Präsidenten NIcolas Sarkozy geht es nicht mehr um Korruption, sondern um die Sicherung seiner Rentenreform.
I n jedem anderen europäischen Land hätte ein Minister in einer vergleichbaren Korruptionsaffäre längst den Hut nehmen müssen. Doch Frankreich funktioniert anders - zur Verzweiflung gewisser Oppositionspolitiker, die (bisher) erfolglos den Arbeitsminister Eric Woerth wegen seiner privaten Kontakte zur Vermögensverwaltung der reichsten Französin zu Fall bringen möchten.
Trotz mehrfacher Dementis ist es Woerth nicht gelungen, den Verdacht der Interessenkonflikte oder gar Begünstigung von sich abzulenken. Man fragt sich, warum Präsident Nicolas Sarkozy ihn so vehement in Schutz nimmt und ihm sein "volles Vertrauen" ausspricht.
Die böswilligsten Kritiker der Regierung vermuten, dass dahinter die Angst stecke, selber in den Strudel der Enthüllungen in dieser Affäre zu geraten, die den diskreten Charme der Bourgeoisie und ihrer nützlichen Beziehungen in aller Splendeur enthüllt.
ist Auslandskorrespondent der taz für Frankreich.
In Wirklichkeit hat die resolute Rückendeckung der Staatsspitze für den angegriffenen Minister einen ganz anderen Grund: Eric Woerth ist nicht mehr für die Steuern und den von ihm (zusammen mit Steinbrück) lancierten Kreuzzug gegen Steueroasen zuständig, sondern muss als neuer Arbeitsminister die Rentenreform durchsetzen.
Sein unpopulärer Vorschlag, das gesetzliche Rentenalter von 60 auf 62 oder 63 Jahre hinaufzusetzen, macht ihm in Frankreich nicht viele Freunde.
Sarkozy kann es sich aber nicht leisten, diesen Mann auf einem Schlüsselposten fallen zu lassen. Mit dessen Sturz würde auch die Rentenreform diskreditiert, die für den Präsidenten höchste Priorität hat und zum Test für seine Glaubwürdigkeit wird. Darum muss er sich mit dem Hobbybergsteiger Woerth auf Gedeih und Verderben solidarisieren.
Sehr begeistert dürfte Sarkozy nicht sein, sich in einer so riskanten Seilschaft mit einem Minister zu befinden, auf dessen Aufstiegschancen in Frankreich niemand mehr einen Cent wetten würde.
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