Kommentar Kohlekraftwerke: Fortschritt bei der Kohle - ohne Gewähr
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel verlangt Auflagen, die den Neubau von Kohlekraftwerken faktisch verhindern. Wie weit er damit kommt, ist fraglich.
J ahrelang hat sich Umweltminister Sigmar Gabriel mit den Umweltverbänden erbittert über den Neubau von klimaschädlichen Kohlekraftwerken gestritten. Drei Monate vor der Wahl schwenkt er nun plötzlich in zentralen Punkten auf ihren Kurs ein: Für das SPD-Programm fordert er Regeln, die neue Kohlekraftwerke in Deutschland - über die im Bau befindlichen hinaus - praktisch unmöglich machen würden.
Das klingt zunächst nach einem simplen Wahlkampftrick. Zumal Gabriel im Gegenzug für seinen Kurswechsel relativ unverblümt Unterstützung - oder zumindest Verzicht auf Kritik - durch die Verbände fordert. Und es scheint nicht besonders glaubwürdig: Die Argumente gegen neuen Kohlekraftwerke sind schließlich lange bekannt, und als Umweltminister hatte Gabriel effektivere Möglichkeiten, dagegen vorzugehen, als fortschrittliche Vorschläge fürs SPD-Wahlprogramm zu verfassen.
Doch trotz dieser Vorbehalte sollte Gabriels Vorstoß nicht unterschätzt werden. Um weitere Kohlekraftwerke tatsächlich zu verhindern, ist es schließlich unverzichtbar, dass der wichtigste SPD-Umweltpolitiker dieses Ziel unterstützt. Und dass er seine Haltung spät ändert, ist immer noch besser, als wenn er es gar nicht tut.
Inhaltlich ist der Programmvorschlag, wie Gabriel ihn nun präsentiert hat, tatsächlich spektakulär. Wenn er so umgesetzt würde, wäre das ein großer Fortschritt für den Klimaschutz in Deutschland: Es würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass Deutschland die langfristig notwendige Reduzierung des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase erreichen kann.
Doch der Weg dahin ist lang. Schon in der eigenen Partei dürfte es dem Umweltminister schwerfallen, seinen Antrag gegen den Kohle- und Wirtschaftsflügel durchzusetzen. Für den von Gabriel erhofften Frieden zwischen der SPD und den Umweltverbänden ist es also noch zu früh. Auch die Frage, wie viel von Gabriels Vorstoß die Partei nach der Wahl in Koalitionsverhandlungen mit der Union (oder auch der FDP) opfern würde, ist völlig offen.
Für die Initiativen, die sich an fast allen geplanten Standorten gegen die neuen Kohlekraftwerke gebildet haben, gibt es also noch keinen Grund zur Entspannung. Zumindest in einer Hinsicht aber können sich die Kohlegegner schon jetzt als Sieger fühlen. Denn selbst wenn nicht nur die Sachargumente, sondern vor allem der Wahlkampf eine Rolle bei Gabriels Vorstoß spielen, ist das für sie nicht unbedingt eine schlechte Nachricht.
Schließlich zeigt es, dass der Minister Kritik durch die Umweltverbände inzwischen mehr fürchtet als Streit mit den Kohlefreunden in seiner eigenen Partei. Diese Machtverschiebung lässt hoffen.
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