Kommentar Kirgisien: Die Logik des Pogroms
Die Übergriffe in Kirgisien sind nicht einfach ein "ethnischer Konflikt". In ihnen zeigt sich eine allgemeine Logik des Pogroms.
P ogrome gehören zum Schlimmsten, was Menschen einander antun können. Pogromtäter sind in moralischer Hinsicht Scheusale.
Nach außen hin stellen sich die Ereignisse in Zentralasien als "ethnischer Konflikt" zwischen Kirgisen und Usbeken dar. In den Übergriffen zeigt sich aber eine allgemeine Logik des Pogroms, die immer wieder erkennbar wird. So sind die aktiven Täter fast ausnahmslos junge Männer, die die Marxisten einst dem "Lumpenproletariat" zurechneten. Angefeuert werden sie von einer Ideologie, die sie nicht selbst ersonnen haben und in der ihre Schlachtopfer als bedrohliche Schädlinge gebrandmarkt werden.
Wieweit eine solche Ideologie durch Alkohol oder andere Tapferkeitsdrogen unterstützt oder ergänzt wird, ist praktisch unerheblich. Auf jeden Fall herrscht unter den Tätern während des Pogroms eine Feststimmung.
Neben diesen Aktiven gibt es eine weitaus größere Zahl von Menschen, die sich aus den brennenden Geschäften und Häusern holen, was sie zu benötigen glauben. Auch sie lassen sich oft kurzzeitig von der Feststimmung anstecken; später sind sie wieder ernüchtert. Von ihnen sind jene zu unterscheiden, die die Pogrome organisieren. Holzknüppel, Eisenstangen und Brennmaterial sind zu beschaffen. Waffenlager müssen geschützt, Häuser von Opfern und Nicht-Opfern markiert werden. Es bedarf also verlässlicher Mitglieder von einschlägigen Organisationen oder Netzwerken. Und es braucht politisch lenkende Köpfe.
Im Falle von Osch und Dschalalabad besteht kein Zweifel, dass hier das familiäre und freundschaftliche Netzwerk des im April vertriebenen usbekischen Präsidenten Bakijew aktiv geworden ist. Für eine Rückkehr an die Fleischtöpfe der Macht ist jedes Mittel recht. Wer die enthusiastischen Volksmassen zum Pogrom mobilisieren kann, hat eine fürchterliche Waffe in der Hand.
Es ist in dieser Situation wenig aussichtsreich, von außen bewaffnet einzugreifen. Die russische Regierung handelt vielleicht amoralisch, aber nicht unklug, wenn sie den Bitten der provisorischen Regierung Kirgisiens nicht folgt. Auch vor dem Einsatz internationaler Friedenstruppen sollte man sich hüten. Sie werden zwischen Pogromtätern und Bevölkerung nicht unterscheiden können. Allenfalls kann man die provisorische Regierung in ihren Bemühungen unterstützen, wieder Ruhe herzustellen.
Der Autor ist Politologe an der Uni Potsdam.
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