Kommentar Kieler Kirchenschelte: Guter Grote und das verlorene Schaf
In Schleswig-Holstein kritisiert die CDU das Kirchenasyl. Zu Unrecht, denn die Zahlen explodieren mitnichten. Grote will nur die rechten Schäfchen wieder einfangen.

An den „besonders sensiblen Umgang“ in Sachen Kirchenasyl – vereinbart Anfang 2015 zwischen Kirchenvertretern und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – hat jetzt der Kieler Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) erinnert. Nicht ohne die Einschätzung hinzuzufügen, dass das damalige Agreement „nicht von allen Gemeinden verinnerlicht wurde“. Der Minister, Teil einer demokratisch gewählten Landesregierung, stößt sich also daran, dass eine Institution in großem Stil geltendes Recht als doch nicht so geltend ansieht?
Klingt gut – und ist trotzdem wackelig. So explodiert die Zahl der illegalen Obdachgewährungen gar nicht: Laut der vormaligen Flüchtlingsbeauftragten der evangelischen Nordkirche, Pastorin Fanny Dethloff, stieg die Zahl der Fälle lediglich „proportional zu den Ankunftszahlen“ seit 2015. Zu dem also, was mancher hierzulande so schnell wie möglich zur „Flüchtlingsflut“ oder „-welle“ macht – um möglichst nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen: Das alles sind Individuen mit individuellen Ansprüchen auf Prüfung und Verfahren.
In Wortwahl und Behauptung bleibt Grote, der frisch gebackene Landesinnenminister, dabei noch geradezu zurückhaltend, verglichen etwa mit den Pöbeleien, mit denen sich einst sein Parteifreund Thomas de Maizière, damals Bundesinnenminister, gefiel: Der verglich die in Punkten von der seinen abweichende kirchliche Rechtsauffassung mit der islamischen Scharia (ruderte dann aber auch bald wieder zurück – nach der erwähnten Einigung).
Grotes Pointe, wenn man es denn so nennen möchte: Er behauptet, das Kirchenasyl schützen zu wollen – indem er beklagt, dass es angeblich zu oft angewendet wird. Das aber folgt keiner christlichen Logik und erst recht keiner juristischen, sondern ist vielmehr rein politisch, und sein eigentlicher Adressat sind nicht die Kirchenfunktionäre und auch nicht diejenigen an der Basis, die da angeblich das geltende deutsche und europäische Recht brechen, indem sie Schwächsten Schutz bieten wollen (oder wenigstens mehr Zeit für die Prüfung ihrer Unterlagen): Das Publikum, für das Grote da den strengen Vater mit der begrenzten Geduld gibt, sind die Schäfchen, die der Union verloren gegangen sind – in Richtung AfD.
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