Kommentar Kartellstrafen: Gaspreise werden steigen
Man sollte die ausgesprochene Energiemarkt-Kartellstrafe in ihrer Relevanz für die Entwicklung des Gasmarktes nicht überbewerten. Die Pipeline ist nur ein Projekt.
BERNWARD JANZING ist studierter Geowissenschaftler und arbeitet als freier Journalist in Freiburg. Seit Jahren analysiert er die Energiepolitik für die taz.
Die EU greift also durch gegen die Kartelle - das ist grundsätzlich immer eine gute Nachricht. Zumal in der Energiewirtschaft. Denn deren Unternehmen sehen - geprägt von Jahrzehnten der Monopole - im Auftreten von Mitbewerbern häufig noch immer einen Akt der Majestätsbeleidigung. Und deswegen muss man es als Freund eines freien Energiemarktes begrüßen, wenn die EU durchgreift.
Ob im aktuellen Fall die satte Millionenstrafe für Eon Ruhrgas und die Gaz de France tatsächlich Bestand haben wird, ist allerdings nicht so sicher. Denn das letzte Wort wird der Europäische Gerichtshof haben. Sollte dieser den Ausführungen von Eon Ruhrgas folgen, wonach die Absprache über die sogenannte Megal-Pipeline für die Marktentwicklung "keine Relevanz hatte", "nie praktiziert" und 2004 von den Unternehmen formell aufgehoben wurde, könnte die Kartellstrafe am Ende doch ausfallen.
Ohnehin sollte man die Kartellstrafe in ihrer Relevanz für die Entwicklung des Gasmarktes nicht überbewerten. Schließlich ist die Megal-Pipeline nur ein einzelnes Projekt. Und die Frage, ob und wann eine Vereinbarung von 1975 in der Praxis gegriffen hat, ist für die weitere Entwicklung des Gasmarkts vor allem von symbolischer Relevanz. Viel entscheidender für den Wettbewerb sind längst die praktischen Fragen: Welcher Anbieter bekommt zu welchen Konditionen Zugang zu den Gasnetzen? Wer erlangt Zugriff auf die Kapazitäten der Gasspeicher? Wie lässt sich der Kundenwechsel abrechnungstechnisch so bewerkstelligen, dass er für unabhängige Anbieter in großem Stil praktizierbar wird? Hier spielt mehr noch als das Kartellamt die Bundesnetzagentur eine wichtige Rolle. Und dennoch: Den Reflex, dass jede Aktion der Aufsichtsbehörden den Energiepreis für die Kunden senken wird, müssen wir uns abgewöhnen. Denn der Preis für Erdgas wird, weil die fossilen Energiereserven weltweit rapide schwinden, mittelfristig deutlich anziehen.
Wie das Erdöl wird auch das Erdgas zunehmend zu einem knappen Gut werden, was ganz logisch zu steigenden Preisen führt. So gesehen wird der Einfluss der Aufsichtsbehörden immer weiter schwinden. Denn es wird künftig weniger der Marktmissbrauch die Gaspreise emportreiben als vielmehr die Verknappung. Ganz reguläre Marktkräfte also, die mit der gerne zitierten Abzocke nichts mehr zu tun haben werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Pläne zur Krankenversicherung
Ohne Schutzschild aus der Deckung
Ökonom zu Habecks Sozialabgaben-Vorstoß
„Die Idee scheint mir ziemlich unausgegoren“
„Campact“ startet Anti-CDU-Kampagne
Kein Kreuz für Merz
Abstoßender Wahlkampf der Rechten
Flugticket-Aktion sorgt für neue Forderungen nach AfD-Verbot
Rechte Parteien und Klimapolitik
Europas Rechte gegen das Klima
Hoffnungsträger Wasserstoff
Wünsch-dir-was reicht lange nicht