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Kommentar Kaiser's TengelmannDer rheinische Kapitalismus lebt

Bei Kaiser's Tengelmann hat man sich geeinigt. Super! Das zeigt, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen doch noch etwas zählt.

Die Hoffnung auf Erhalt des Arbeitsplatzes wächst wieder bei den Tengelmännern und -frauen Foto: dpa

Ende gut, alles gut? So weit ist es beim Gefeilsche um die angeschlagene Supermarktkette Kaiser's Tengelmann noch lange nicht. Selbst nach dem Durchbruch bei der Mediation zwischen den beteiligten Handelskonzernen, den Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) höchstpersönlich verkündete, bevor er zu wichtigen Gesprächen nach China aufbrach. Aber die 15.000 Beschäftigten, die schon häufiger durch ein Wechselbad der Gefühle mussten, haben jetzt einen berechtigten Grund zur Hoffnung auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze.

Das ist ein erfreuliches Signal. Denn es zeigt auch: Der rheinische Kapitalismus, der auf Ausgleich und Verhandlung (bis hin zur Mauschelei) beruht, lebt – wenn der politische Wille da ist, die unsozialen Kräfte des Marktes zu bändigen.

Im konkreten Fall ändert daran auch der etwas naseweise Hinweis nichts, niemand wisse, wie viele Supermärkte und Arbeitsplätze nach Ablauf der siebenjährigen Jobgarantie tatsächlich erhalten blieben. Ja – is' so. Aber für eine 55-jährige Kaiser's-Verkäuferin aus Berlin ist es eben nicht egal, ob sie jetzt arbeitslos wird, alsbald ihre immer teurer werdende Miete in der überfüllten Stadt nicht mehr zahlen kann und eine klassische Hartz-IV-Karriere startet: Arbeitsagentur, Jobcenter, Ersparnisse aufbrauchen, Minirente kriegen, Flaschen sammeln. Oder ob sie im schlimmsten Fall erst in sieben Jahren arbeitslos wird, mit der Chance, es ohne Hartz-IV bis zur Rente zu schaffen.

Selbst die Bedenken der Wettbewerbshüter ändern nichts daran, dass Gabriel im Fall Kaiser's zu Recht eine verträgliche Lösung für die „kleinen Leute“ forcierte – wohl auch aus Angst, immer mehr von ihnen könnten bei Wahlen zur AfD abwandern.

Der Wettbewerb im Einzelhandel könnte eingeschränkt werden, wenn die Großen den Markt unter sich aufteilen, wird gewarnt. Das klingt logisch, aber die Erfahrung spricht bislang dagegen: Nirgendwo in Europa ist der Wettbewerb im Einzelhandel so hart wie in Deutschland, was sicher zu Lasten der Lieferanten und der Beschäftigten geht. Die Kunden aber, die profitieren: von günstigen Preisen, auch für ordentliche Produkte.

Oder glaubt jemand, Milch und Butter oder Bio-Wein und Fairtrade-Kaffee wären in Frankreich oder Großbritannien besser als hierzulande, weil die Kunden dort dafür mehr bezahlen müssen?

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6 Kommentare

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  • Ach der Schröder Gerd kann's erneut nicht lassen. Jetzt heißt es eben für die Beschäftigten wieder erstmal still- und durchhalten bis die Details auf den Tisch kommen. Bei soviel "sozialem" Einsatz wird sich danach dann ja wohl keiner mehr beklagen dürfen. Es tut mir Leid, aber wenn die Zahlen nach diversen Privatentnahmen nicht mehr so stimmen, wird die Belegschaft doch abgebaut - was glaubt ihr denn?

  • Was mich noch stört: Herr Gabriel macht sehr viel öffentlichkeitswirksame Politik mit den "armen" Tengelmannbeschäftigten - wobei die Gesamtbilanz der Arbeitsplatzverluste völlig unklar ist (da kann man dann auch noch die nicht durch den Deal entfallenen Neueinstellungen mitrechnen! - das halte ich für typisch Gabriel - mit Stimmungen und Emotionen zu manipulieren. Grundsätzliche Fragen der Zulässigkeit seiner Ministererlaubnis werden großzügig übergangen. Und ganz ehrlich: In Deutschland verlieren tagtäglich Menschen ihren Arbeitsplatz - jeder einzelne Verlust zählt! - mir wäre es wichtiger, dass wir dafür sorgen, dass man den Arbeitsplatzverlust nicht mehr als Katastrophe erleben muss, sondern ein menschliches zukunftsorientiertes Vorgehen entwickelt - im Gegensatz zu den heutigen Vorgehensweisen.

  • Der Autor meint wohl: Geklüngel, "geheime Absprachen" und Freikaufen von Verfahren haben gesiegt - wenn er das gut findet - ich jedenfalls nicht!

    Das ist einer dieser Hinterzimmer-Deals, bei dem ich ein völliges Unbehagen habe. Eine Überprüfung einer Ministererlaubnis hätte angestanden - findet aber nicht statt - weil die Konkurrenten gegen Geldleistungen ihre Klage zurückgezogen haben - ist das jetzt gekauftes Recht? Eine Monopolkommission warnt vor Monopolstrukturen mit deren Folgen, aber ob der neue Deal jetzt die Anforderungen der Monopolkommission erfüllt ist mir nicht klar - es wird auch nicht darauf eingegangen. Es wird mit geretteten Arbeitsplätzen bei Tengelmann argumentiert, aber es ist völlig unklar, wie die Gesamtbeschäftigtensituation aussieht - wieviele Leute werden bei Edeka gekündigt? Wie gesagt - da bleibt ein Unwohlsein mit dieser gesamten Situation - vieles scheint im Verborgenen stattzufinden.

  • Seit wann interessiert sich Sigmar Gabriel für die "kleinen Leute"? Richtig: Seit sie AfD wählen. Als sie noch nicht SPD gewählt haben, hat ihn das weniger gestört. Nichtwähler stellen für den eigenen Wahlerfolg ja auch das kleinere Problem dar. Fremdwähler können der Karriere hingegen echt gefährlich werden.

     

    Ist noch nicht all zu lange her, da haben Gabriel und seine Toscana-Pizza-Freunde bzw. Mentoren Keynes, von Hayek und Friedmann für Genies gehalten und den Neo-Liberalismus als den Weg betrachtet, der die Deutschen direkt in den Wirtschaftshimmel führt. Es war wohl einfach schon damals Trend unter den Hedonisten, nur das zu sehen, was man sehen wollte, und sich ansonsten einzubilden, die Erde hätte sich gefälligst um den eigenen vergoldeten Bauchnabel zu drehen.

    • @mowgli:

      Im Übrigen macht ein Tengelmann-Aktionismus noch keinen Rheinischen Kapitalisten. Fragt doch mal einer an bei Sigmar Gabriel, wie er es mit der Uneigennützigkeit und dem Dienst an der Allgemeinheit hält mit Blick auf Ärzte und Juristen, ob Bildung eines Markts bedarf, die Medien und der OPNV freie Güter sein, Wohnungen subventioniert oder Löhne an die Produktivität gekoppelt werden sollen.

       

      Nein, ich denke nicht, dass Gabriel Kaiser's als Gemeinschaftsbesitz ansieht. Das Unternehmen ist auch für ihn nur eine Ware, genau wie es im neo-amerikanischen Modell eine ist. Er will einfach nur mitbestimmen, zu welchen Konditionen es gehandelt werden darf – und sich im Anschluss als der Typ bejubeln lassen, der, in Gummistiefeln und im Blitzlichtgewitter auf einem Damm stehend, dem Hochwasser getrotzt hat.

  • Auf Grund solcher kurzsichtigen Denkmuster hat Gabriel auch die Ministererlaubnis erteilt. Dabei wird schlicht kein Unternehmer Arbeitnehmer beschäftigen, die er nicht braucht. Dann wird im Zweifelsfall hat der Edeka in Berlin gegenüber geschlossen oder die Verkäuferin dort entlassen und ihr Arbeitsplatz mit der unkündbaren ehemaligen Kaisers-Angestellten besetzt. Hat es jetzt die Edeka-Angestellte mehr verdienst gehabt, entlassen zu werden?

     

    Und keiner der Wettebewerber braucht die Verwaltung und Logistik, die ja auch dahintersteht. Das wird sowohl bei Edeka als auch bei Rewe einfach in die bestehende Organisation übernommen. Auf Grund der Größe der Konzerne müssen diese auch niemanden entlassen, die ehemaligen Kaiser-Angestellten werden einfach auf Stellen gesetzt, die durch natürliche Fluktuation freiwerden. Dafür wird aber halt niemand neues angestellt - Hätte der oder diejenige es nicht auf verdient, einen Arbeitsplatz zu bekommen?