Kommentar Kälte im Maghreb: Schnee in Afrika
Während das algerische Volk friert, liefern staatliche Exporteure Erdgas nach Italien und verdienen sich damit eine goldene Nase.
V erkehrte Welt: In Algerien schneit es, aber algerisches Erdgas befeuert europäische Heizungsrohre. Die Kältewelle in Europa, die sogar die Südseite des Mittelmeers trifft, offenbart die merkwürdigen ökonomischen Verflechtungen des europäischen Energiehungers.
Weil Gazprom aus Russland weniger Gas nach Europa liefert, als nötig wäre, und die Liefermengen sogar sinken, müssen Westeuropas Energieriesen zukaufen. Bevorzugter Alternativlieferant ist Algerien, der fünftgrößte Erdgasproduzent der Welt.
Aus Algerien bezieht Italien seit einigen Tagen 37 statt wie bisher 32 Prozent seines Energiebedarfs, und das dank der Großzügigkeit Tunesiens, durch das die Pipeline aus Algerien verläuft, und das jetzt per Vereinbarung mit Rom auf seinen Anteil an dem algerischen Gas verzichtet, obwohl in Tunesien die Kälte ebenfalls wütet.
ist Co-Ressortleiter des Auslandsressorts der taz.
Dieses Arrangement macht den Unterschied zwischen vor- und nachrevolutionären Regierungen in Nordafrika deutlich. Aus Tunesien ist keine Gasknappheit, Spekulation und Preistreiberei bekannt geworden. In Algerien aber verdienen sich die staatlichen Exporteure an dem unverhofften Geschäft eine goldene Nase, während für die algerischen Verbraucher der Preis für Heizgas explodiert, ohne dass der Regierung einfällt, etwas für ihre Bürger zu tun.
30 Euro für eine Gasflasche statt 5 – das ist heftig, und in Nordafrika, nicht zuletzt in Algerien, sind schon aus nichtigeren Anlässen Massenproteste und Volksaufstände ausgebrochen. Wohl nur, weil es so kalt ist und sich in den Hügeln außerhalb Algiers der Schnee türmt, gehen die algerischen Massen jetzt nicht protestierend auf die Straße.
Aber am 10. Mai wird in Algerien gewählt, und dann dürfte auch im korrupten Algier wieder Frühling herrschen. Vielleicht sogar politisch.
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