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Kommentar Joachim Gaucks VerzichtDie Gegenfigur zu den Wutbürgern

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Gauck hat im Amt die Annäherung des konservativen Bildungsbürgers an das Jetzt verkörpert. Nun sollte ihm endlich eine Frau folgen.

Das war's: Joachim Gauck macht nächstes Jahr Schluss mit dem Schloss Bellevue Foto: dpa

M an muss Joachim Gaucks pastorale Rhetorik und konservative Haltung nicht mögen. Er mokierte sich über Occupy Wallstreet, lobte den Neoliberalismus und fremdelte mit Flüchtlingen und Islam. Allerdings ist Gauck im Amt offener geworden. Das versteinert Rückwärtsgewandte trat eher in den Hintergrund. Und die Distanz gegenüber dem Einwanderungsland Bundesrepublik wurde kleiner. Das mag man als Symbol für die vorsichtige Annäherung eines bildungsbürgerlichen, sehr deutsch geprägten Milieus an das Jetzt sehen. Insofern ist Gauck, gerade als Konservativer, Gegenfigur zu den außer Rand und Band geratenen akademischen Wutbürgern, die derzeit die Talkshows bevölkern.

Auf der Habenseite steht zudem ein Gespür für Geschichtspolitik. Gaucks Vater war NSDAP-Mitglied, die Sowjets verschleppten ihn 1951 willkürlich in den Gulag. Gauck war wohl der letzte Bundespräsident, den eine biographische Nabelschnur mit den totalitären Katastrophen des 20. Jahrhunderts verband. Es war gut, dass dieser Bundespräsident an weitgehend vergessene Opfer erinnerte, an die sowjetischen Kriegsgefangenen, die die Wehrmacht zu Hunderttausenden verhungern ließ, und von Nazis in Griechenland ermordete Zivilisten. Schade, dass er dies nicht lauter, heftiger, engagierter tat.

Als Gauck ins Amt kam, fürchteten manche, dass er mit evangelischem Moralfuror eine Schneise der Verwüstung in diplomatisch heiklen Angelegenheiten schlagen würde. Das war voreilig. Man muss eben keine Karrieren in Parteigremien und Kabinetten absolviert haben, um diesen Job zu beherrschen.

Gauck hat, mit Blick auf die Nachfolgebatte, gezeigt, was das Amt braucht – einen freien, unabhängigen Kopf, der lernfähig ist. Was das Amt eher nicht braucht, ist ein verdienter Politiker, dessen Karriereende vergoldet werden soll. Es wäre ein kluges Zeichen der politischen Klasse, wenn sie begreift, dass Seiteneinsteiger besser geeignet sind als Wolfgang Schäuble, Norbert Lammert oder Frank-Walter Steinmeier. Schon, um den Anschein von Postenschieberei zu vermeiden.

Die taktischen Spiele, die nun beginnen, werden äußerst interessant. Dass sich Rot-Rot-Grün einigt, kann man leider ausschließen. Denn solange sich SPD-Rechte und Linkspartei-Fundis so inbrünstig verachten, ist dieser Topf leer. Alle verknoteten Fäden laufen bei Angela Merkel zusammen. Die hat es mit einer störrischen CSU, unwilligen Grünen, die bloß keine schwarz-grüne Debatte wollen, und der SPD zu tun hat, die auf Distanz zu ihr gehen muss. Die Lage ist daher komplizierter als sonst. Und wie meistens gilt: Wer Merkel in diesem Match unterschätzt, wird zu den Verlierern zählen.

Wer soll es also werden? Gut, sehr gut, wäre, wenn wir 2017 zum ersten Mal keinen Bundespräsidenten haben. Sondern eine Bundespräsidentin. Das ist überfällig. Schon lange.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Eine Frau wäre eine wirklich gute Sache im Amt des Bundespräsidenten und die internationale Wirkung würde sicher nicht verfehlt. Eine Frau an der Spitze des Staates neben Bundeskanzlerin Merkel. Wir werden sehen, welche Vorschläge gemacht werden. Ich bin gespannt.

  • Frau Schwan will ja leider nicht mehr, aber Frau Schwarzer würde ich auch sehr begrüßen.

  • Wissen Sie, Herr Reinecke, hier unten - weit weg von Parlament, Kanzleramt und anderen Elfenbeintürmen - geht es den Leuten um andere Fragen.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      In der Tat. Viel entscheidener ist wohl auch die Tatsache, dass niemals eine Person in diese Position kommt, die gewillt oder bereit wäre wirklich Etwas zu verändern...

  • Also Hauptkriterium: Was hat Kandidatix in der Hose bzw. Bluse?

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Vorschlag:

    Manuela Schadt, die hat Amtserfahrung und kann auf den Einflüsterer zurückgreifen.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @571 (Profil gelöscht):

      ... und sie müssten nicht so schnell raus aus Bellevue...

  • Eine Frau ins Amt des Bundespräsidenten sehe ich ebenfalls als überfällig an. Nach 11 Männern in Folge ist das nun wirklich kein exotischer Wunsch. So schwer kann das doch nicht sein, eine geeignete Kandidatin zu finden. Es muss ja nicht unbedingt Alice Schwarzer sein.

    • @Rainer Seiferth:

      "Eine Frau ins Amt des Bundespräsidenten sehe ich ebenfalls als überfällig an."

       

      Weil Merkel so eine super Kanzlerin ist?

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Ja, Chef.

        Einfach mal Deutschlandtrend gucken.

        Da kommt auch Steineimer supergut weg.

  • Gesine Schwan for President!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @rosa :

      Schwan ist schon verbrannt.

      Lieber Claudia Roth ;)

      • @571 (Profil gelöscht):

        Claudia? Arrrgh!

    • 8G
      87233 (Profil gelöscht)
      @rosa :

      Herr Gauck war einen sehr guten Bundespräsident.

       

      Ich teile Ihre Meinung - Frau Schwan wäre gut.

  • Es gibt sogar CDU-Politikerinnen und Politiker, die das Augenmaß von Joachim Gauck haben. Mit einer Art von Tatkraft, die auf alle Bevölkerungsgruppen wirkt: Rita Süssmuth und Klaus Töpfer, beide beim Antritt als BundespräsidentIn Anfang 80 Jahre alt. Aber für die meisten Menschen sind Politiker im Ruhestand die besseren Repräsentanten für den Ausgleich, als solche, wie der gescheiterte Christian Wulff.

  • Eine Frau? Wieso? Wo doch ICH gern das Opfer brächte!

  • Wieso sollte ine Frau besser sein, nur es noch keine in diesem Amt gab?

    Das ist sexistisch...

  • Der Kern der gauckschen Vergangenheitsbewältigungsrhetorik fehlt in dem Artikel leider. Jedesmal, wenn die Überlebenden irgend eines Wehrmachtsmassakers den verständnisvoll dreinschauenden Präsidenten fragten, ob sie von Deutschland außer warmen Worten nun endlich auch eine materielle Entschädigung für die erlittenen Kriegsverbrechen zu erwarten hätten, bestand dessen Antwort aus einem ebenso knappen wie kalten "Nein".

    • @Ren Hoëk:

      Der Präsident hat politisch weder Entscheidungs- noch Einmischungskompetenzen und es - als designierter Nichtwahlkämpfer - auch nicht nötig, ständig mit leeren Versprechungen um sich zu werfen. Was (außer "Nein.") soll er also anworten, wenn es solche materiellen Entschädigungen nunmal nicht gibt?

  • Ich hoffe doch sehr, daß eine angesehenene Persönlichkeit, die dem Amt gewachsen ist - egal ob Mann oder Frau - Bundespräsident wird, und nicht einfach irgendeine Frau, nur aus Quotengründen, wie es der Autor Reinecke offenbar propagiert.

    • @yohak yohak:

      ... naja ... wir sind hier bei der TAZ >;o)