Kommentar Irans neue Außenpolitik: Abschied vom großen Satan
Die Regierung Rohani will den Iran weiter Richtung Westen öffnen. Doch der Kurswechsel birgt auch Gefahren – und die liegen innerhalb des Landes.
N ein, es sind keine Floskeln, die zur Beruhigung des Westens dienen sollen, wenn der iranische Außenminister Dschawad Sarif im deutschen Fernsehsender den Holocaust als „grausame Tragödie des Umbringens, das nie mehr vorkommen“ dürfe, bezeichnet. Es war auch nicht das erste Mal, dass der Minister ebenso wie der Regierungschef Hassan Rohani unmissverständlich den Holocaust als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet hat.
Dabei geht es nicht nur um die Korrektur der unseligen Attacken Mahmud Ahmadinedschads gegen den zionistischen Staat. Die Regierung Rohani ist gerade dabei, jene Säule zum Sturz zu bringen, die zu den substanziellen Stützen der Islamischen Republik gehört: die Feindschaft gegenüber dem Westen.
Rohani und sein Außenminister scheinen entschlossen zu sein, das Land nicht nur Europa, sondern auch den USA gegenüber zu öffnen, die das Regime seit nun 34 Jahren als „großen Satan“ bezeichnet. Dass auch „der kleine Satan“ Israel aus der Schusslinie genommen wird, gehört offenbar zu den Zugeständnissen, zu denen die Regierung bereit zu sein scheint.
Im Atomkonflikt hat Iran bislang sämtliche Forderungen des Westens akzeptiert, ohne auch nur annähernd dafür Gegenleistungen erhalten zu haben. Auch in anderen Bereichen, wie etwa in der Syrienkrise, zeigt sich die Regierung kooperationsbereit. Rohani hat beim Wirtschaftsgipfel in Davon händeringend westliche Unternehmen zu Investitionen im Iran eingeladen. Das ist weit mehr als eine diplomatische Charmeoffensive.
Doch der drastische Kurswechsel birgt auch Gefahren. Es gibt mächtige Kräfte im Iran, die befürchten, dass damit die Substanz des islamischen Staates und seine ideologische Legitimation verloren gehen. Sie sind dabei, Rohanis Pläne zu torpedieren. Es ist ein unerbittlicher Kampf zweier Linien, den der Iran zurzeit erlebt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Die Wahrheit
Der erste Schnee